Plötzlich kehrte sie um. Nicht weil ihr Handy klingelte und ihr in Erinnerung rief, das und das soll sie doch bitte mitbringen von ihrem Urlaubstrip nach Hause nach Berlin oder etwas jetzt zu essen, was in der Küche von ihrem Vater Horst Leskow, seiner Frau Marianne und seiner Schwiegermutter Elise fehlte.

Nein, eine innere Stimme, die sie zur Ruhe rief in all dem, was gerade im Schwarzwald nach dem Besuch des Grabes immer wieder auftauchte nicht wie Treibgut, das könnte man unberücksichtigt lassen, es wäre eben im Fluss der Dinge, nein wie etwas Lebendiges. Das Berücksichtigung finden muss.

Verdrängen geht gar nicht.

Die Kirchenglocken haben längst aufgehört zum Mittagsgebet zu rufen.

Der Besuch im Pfarrhaus hat viel zu lange gedauert.

Sie kehrte trotzdem um zum Ort ihrer Taufe und ihrer Konfirmation.

Die Großmutter hatte viel Wert darauf gelegt, auch wenn der Vater nicht so recht wusste, was das alles zu bedeuten hätte.

„Deine Frau, die Mutter von Anne, würde sich wundern, wenn ihr Kind nicht aufgehoben wäre in der Gemeinschaft der Gläubigen,“ sagte sie zu ihrem Schwiegersohn. Und so wurde Anne getauft. Ihr Vater hat sich gefügt, wie eigentlich immer, seit dem er auf der anderen Seite der Demarkationslinie lebte. Das war jetzt seine Heimat, der Schwarze Wald wie er ihn nannte. Er hatte seine erste Frau nach dem Zusammenbruch der DDR in Berlin kennen gelernt. Berlin ganz und nicht nur halb. Halb? ZWEIDRITTEL WEST und EINDRITTEL OST, so war die Lage. Sie war auch unternehmungslustig genug, um aus ihrem Wald angereist zu kommen, um zu sehen, was es denn nun auf sich hat mit dem Osten. Wo die Sonne aufgeht und nicht unter. Sie wollte Lehrerin werden und war dementsprechend neugierig. Dabei ist sie auf den Soldaten gestoßen, der in Zivil wissen wollte, wie die Feindinnen so sind, wegen der er in Thüringen schießen sollte, wenn er eine sähe, wie sie sich am Zaun zu schaffen machten. Jedenfalls- Angelika war hübsch und nicht übertrieben, nicht einmal schräg oder zu sehr gefärbt. Natürlich. Das war schon immer sein Idol. Schon von zu Hause her. In seinem Erzgebirge. Dort hatte er nach seinem Mittelschulabschluss KFZ-Schlosser gelernt an Hand der Wartburgs und Trabanten, die dort gefahren wurden in der Mehrzahl aber bei Leibe nicht in jedem Haushalt. Wartburg weniger als Trabant. Viel weniger. Noch weniger Moskwitsch oder Skoda aus dem tschechischen Bruderland. Der Pfarrer war der einzige, der nicht so lange warten musste, wie die anderen, um zu einem Trabant zu kommen aus Zwickau. Das wussten sogar die Leute, die nicht zur Kirche gehörten. Die zu allermeist. Seine Eltern gehörten nicht dazu. Sie waren Kommunisten von zu Hause aus. SED-Mitglieder im Gegensatz zu den anderen, die nicht zur SED gehörten, nein, darüber hinaus auch noch jeden Sonntag in die Kirche gingen. So fromm war das Erzgebirge. Um so mehr hat ihn der Glemmer des Westens aufgesogen. Aber er war stabil genug, um nicht darauf herein zu fallen. Nein, er nahm sich sofort vor, nicht etwa Berufssoldat zu werden in der vereinigten deutschen Armee, sondern etwas aus seinem gelernten Beruf zu machen: Meister, selbständig. Und warum nicht Autos reparieren auf der andern Seite, wo die Volkswagen und Opel fuhren, sagte er sich, nachdem er Angelika aus dem anderen westlichsten Mittelgebirge in Deutschland kennen gelernt hatte. Und auch noch im verrückten Berlin.

So schnell ging das nicht. Vorstellungsbesuch bei den Eltern hin und her. Begutachtung frommes und unfrommes Nicken. Hand in Hand durch die Dörfer laufen. Tuscheln, wie es sich gehört. Aha, aha. Und so weiter.

Jedenfalls vor einem Schaufenster geschah es. Auf der anderen Straßenseite stand ein sehr hübsches Mädchen aus dem Westen. Sie spiegelte sich im Fenster, vor dem Horst Leskow stand. Er dreht sich um und winkte. Sie winkte zurück. Solche Dinge gibt es. Sie trafen sich wieder und immer wieder, jeden Tag, den sie in Berlin verbrachten. So ist das und so geht das. Wen es gut geht. Es geht bekanntlich nicht immer gut. Hier ging es gut. Und alle waren dankbar in diesen wirren Zeiten. Und sollten das auch, denn nichts ist selbstverständlich, dass etwas gut geht. Es kann immer auch ganz anders kommen. Böse, böse.

Und dann kam es auch, weil aus Gräuel Gräuel kommen, weil sich nichts geändert hat, weil es Schuld gibt auf Erden, die um sich greift, die andere mit hineinreißt in den Strudel des Flusses. Und Du kommst nicht mehr heraus. Die Hochzeit in Schönhausen. Die Eltern von Horst kamen angereist aus dem schönen Erzgebirge in guten Klamotten aus DDR-Zeiten, wenn es da Empfänge gab und so. Sie waren stabil und nicht gierig nach dem Neuen.Sie gingen brav mit in die Kirche und der Pfarrer war gnädig in seiner Predigt und die Trauung war wundervoll. Selbst der Papa und die Mama aus dem Osten mussten das sagen später bei Kaffee-Trinken im Gasthof zur Grünen Tanne. Sie waren ja Rituale gewohnt, nur etwas anders mit Bildern von Lenin und Stalin ganz früher in der DDR. Mit Denkmälern von Thälmann dann, dem Sohn seiner Klasse. An denen man Blumen niederlegte. Fahnen noch und noch. Religion war das auch. Eine andere. Macht, eine andere.

Alle gingen freundlich miteinander um. Die Eltern von Anne und die von Horst. „Immer schön allmählich“, sagen die Großeltern, die sich auskannten im WESTEN. Und ein bisschen Geld hatten. Und so kam es. Der solide gelernte Beruf des Trabant-Bauers, dem es Spaß machte, Mercedes, Volkswagen und Opel kennen zu lernen und in Gang zu halten, die schöne Frau an seiner Seite, die ihre Ausbildung zur Grundschullehrerin zu Ende brachte. In dieser Zeit. Horst bewirbt sich wegen dem Meistertitel mit Erfolg. Er konnte die Werkstatt seines Schwiegervaters selbständig übernehmen und später eine Tankstelle dazu setzen. Alles gut.

„Weil Christus auferstanden ist“. Das wusste vielleicht Marianne. Mit Sicherheit Elise, die Großmutter und ihr Mann Erich im Glauben, in dem sie gelebt haben in Arbeit und Not. Und der ihnen geblieben ist, weil sie immer abgegeben haben von dem Segen, der auf ihnen lag.

Nun hat er sich die Kleider vom Leib gerissen und ist in die Oder gesprungen den Grenzfluss zwischen den Deutschen jetzt und den Polen. Er schwimmt und schwimmt und wird abgetrieben. Aber er schafft es, die Kleider auf den Rücken gebunden. Schafft es, die Papiere vergraben zu haben um als Flüchtling zu gelten, ein neues Leben zu beginnen mit Namen und tadellos nackt und bloss.

So sind sie gekommen damals zu uns, die Roma und die Sinti. Sie kennen die Umwege gut in Europa. Ihre Vorfahren sind sie gegangen und gefahren mit ihren Leiterwagen und haushohen Zelten. Spitz. Bunt die Röcke der Frauen. Die Maler haben zu tun, wenn sie sie sehen.

Und die Millionen nach dem letzten Krieg, wie wir lange Zeit gehört haben von den Alten? Sie sind kaum geschwommen, sondern mit den letzten Zügen über die Brücken gemacht klopfenden Herzens, weil sie alles, alles wirklich zurück lassen mussten. Und wenn sie geschwommen sind, sind sie untergegangen in den Wellen der eisigen Ostsee, als das Schiff sank. Gustloff.

Das waren die Deutschen, die Adolf Hitler nicht verhindert hatten, die Stalin fürchteten. Die Ostpreußen hinter der Weichsel. Die gekreuzigt wurden, als sie gekommen sind. Die Feinde. Die Russen, die gar keine waren. Und sie sind nicht angekommen. Viele nicht. Umgekommen unterwegs. Verhungert. Erschossen. Ich weiß es nur aus Filmen. Mir ging es gut. Aber die meisten doch sind angekommen. 12 Millionen. Angekommen.

Wo?

Die Flucht, die Flucht.

Immer ist sie präsent im Leben.

Oder du päppelst sie durch, die Flucht.

Lebenserhaltend.

Ach, sind wir froh, wenn es Frieden bleibt nun endlich nach der totalen Kapitulation der NS-Schergen. Wie soll ich es sonst sagen. Mir fehlen die Worte. Nie wieder Krieg. Nie sollst du ein Gewehr anfassen. Nie wieder. Damit es nicht auf die Falschen gerichtet wird. Oder wieder auf DICH SELBER! Daher kommen wir aus der Sowjetzone, die nicht die Speckgürtel umgelegt bekamen durch den Marshall-Plan und anderes mehr. Die sich einreihen mussten in die Reihen der FDJ, der Pionierorganisation mit rotem und blauen Halstuch. Das war ihr Gürtel. Kargheit und Askese inbegriffen. Stabilisiert. Davon leben wir heute noch, denn es sind Werte. „Verstehen Sie das bitte dialektisch!“- sagt der, der dem anderen sein ostdeutsches Leben erzählt. Der mit dem Speckgürtel, was sagt der darauf? Nichts. Er hört es sich an, wenn es ein freundlicher christlicher Mensch ist. Und versucht zu verstehen. Zumindest tut er so, weil er vor allen Dingen gut erzogen ist und höflich.

Nur wir haben den Krieg verloren“, sagen manche in Thüringen, nachdem die Amis abgezogen sind, um sich mit den Franzosen und den Engländern die Stadt Berlin zu teilen. Den WESTEN BERLINS.

Meine Frau weiß, dass die Russen mit Ponny-Wagen einmarschiert sind, nachdem die Schwarzen Schockolade verteilt haben an die Kinder und das Weite gesucht haben Richtung Norden: Berlin, Berlin, Berlin. SEI DU BERLIN. Das war auch in Leipzig so, südlich der Elbe. Und erst die Frauen, die sich eingelassen hatten mit den schmucken Soldaten. Das war doch etwas. Nun sind sie weg und die Russen kommen. Das Machtspiel, die Rochade.

Ja, den Amerikanern haben wir zugewunken.“ Wie viele haben sich aufgemacht, um über die neuen Demarkationslinien zu kommen, In den Westen. In den Westen.

Andere hofften, das geht nicht lange. Das System nicht und BBC verkündete jeden Tag, dass alles zusammenbricht. Der Kommunismus wird den Krieg nach dem Krieg nicht gewinnen.

Haltet durch!“Propaganda. Nicht nur Lenin wusste das. Wie wichtig sie war. Londoner Rundfunk. Und heute wieder Hetze. Kriegshetze.

Es ist spannend. Es muss so kommen, wenn man nicht leben kann, ohne diese Spannung.

Es ist spannend.“

Die Flüsse. Die Flusslanschaften. Im Schwarzwald ist es mehr die Tanne, die dunkle. Anne setzt sich in die Kirche, um sich auszuruhen. Ihr fallen die Bilder ein von einem jungen Mann, der mit einem Z auf dem Rücken plötzlich in ihrer Schiffskabne sitzt. Er solidarisiert sich mit Russland, mit Weissrussland und der Ukraine. Mit den heiligen Russland. Er sucht die Heile Welt. Er will nicht mehr für den amerikanischen Geheimdienst arbeiten. Anne wollte nie, dass irgend jemand für einen Geheimdienst arbeitet. Für sie war das die Vergangenheit, aus der sie kam, die DDR. Ihr Vater hat ihr genügend davon erzählt. Sie hat ihn gelöchert und ausgequetscht wie eine Zitrone. Sie wollte unbedingt wissen: Wer bin ich, wo komme ich her. Immerhin war ihr Vater Grenzsoldat zwischen zwei Welten. Die eine Welt kollabiert und die andere weiß nicht mehr wozu sie da ist.

Nachfolgebuch zu: DER GRÜNE SALON, AMERIKA (epubli) Ach, Dostojewski.(Haag und Herchen)

Diese beiden deutschen Soldaten aus dem Berchtegadener Land haben uns angesehen bei unserem ersten Dorfrundgang in Oberteisendorf. Den Schaukasten insgesamt an der Kirchenwand neben dem Eingang seht Ihr oben in der Eröffnung.

Danke an die freundliche Bewirtung jeden Morgen im Bauernhof NEUHAUSERHOF, verantwortlich SISSY LANG.

Lästert wenn Ihr wollt. Ich bin dankbar, dass es Menschen gibt, die die Wirkichkeit nicht verdrängen müssen, weil sie den Gekreuzigten und Auferstandenen kennen.

Das Kruzifix auf dem Hof (Prozession/Station).

Mit freundlichen Grüßen! Michael Wohlfarth aus dem Urlaub 2023.

Veröffentlicht von famwohlfarthtonlinede

Jahrgang 44 Lieblingsbeschäftigung:Schreiben und Predigen.Sehnsuchtsort Ostsee. Wohnort Berlin, Heimat Thüringen. Wenn Du mir schreiben willst, bitte über michael.wohlfarth@t-online.de; https://kaparkona.blog; michael-wohlfarth.jimdo.com; michaelwohlfarth.wordpress.com

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