Die eigenartigen Wagen
1
der Ägypter.
Sie legen die Rollen aus.
Darauf die Pyramide
damit
sie nicht
den Himmel verdunkelt
und den Sonnenwagen
des Gottes mit ihrer Spitze
zum mathematischen
Punkt macht.
Also woanders hin.
Aber wohin.
Wo die Sonne nicht
aufgeht und
nicht untergeht.
2
Ich habe geträumt
das Blasgerät ist wieder unterwegs
auf vier Rädern
zum Wegblasen der Blätter.
Der Mann
der auf dem Wagen sitzt
im blauen Arbeiteranzug
steuert in die Mitte der Straße
vom Rinnstein weg,
um auch dort das letzte Blatt
zu erwischen.
Immer wieder siehst du
solche eigenartige Fahrzeuge
klein, gelb, orange,
funktional,
die Straßenkehrmaschinen
für einen Mann
die Laubfeger
oder Sauger.
3
Aber der Postilion
Der Gelbe Wagen,
das Mädchengesicht
so hold
wie Luischen.
Singt Brüder,
damit es wiederkommt
das Lied vom Gelben Wagen.
Oder sind das jetzt die Mondkarren
die die Gesteinsproben entnehmen.
Vielleicht
Wir suchen weiter.
4
Der Große
und der kleine Wagen
am Himmel
über dir.
Nur eine kleine Anstrengung
und du weißt es wieder:
Im Schoß des Waldes
Auf der Insel in der
Irischen See
Auf den Sandhügeln
der Eiszeit
rund um die Hauptstadt.
Schau einfach nach oben
im aufrechten Gang.
Halte inne.
Kein Stillstand.
Kein Fortschritt.
5
Der große
und der kleine Klaus
die saftigen Wiesen
und die Sumpfotter
– geh du nicht hin –
fallen dir ein,
wenn du nach unten schaust
und dich vergewissern möchtest
wohin dich dein Stern geführt hat.
Laß jetzt.
Laß dir Zeit in der Nacht
wenn es sie gibt.
6
Ich, Hieronymus Bosch
habe nicht den Heuwagen gemalt
um die berühmte Nadel zu finden
sondern um zu zeigen
wie verworren die Welt ist
wenn das Gebet verloren geht
und damit
jegliche
innere
Ordnung!
Er fährt
ja er fährt
mit den unseligen Gestalten
zur Hölle
wollte ich sagen.
Ich, Hieronymus Bosch
habe sie umgehend illustriert
damit keiner denkt
sie sei nur virtuell zu verstehen
als gedachte Alternative.
Nein, nein
wir wissen
wie realiter sie sein kann
meine Brüder und ich
aus dem Orden der
Malerfreunde und Dichter.
Aber
da schaut die Lust hervor
in ihrer Absurdität der Un–Lust
und Langeweile: Seid lustig
damit die gnadenlose Zeit
niemand bemerkt.
Aber irgendwann bemerkst du sie
doch.
Da schaut die Geilheit
aus allen Halmen des
gemähten Grases und des
gedorrten in der
niederländischen Sonne
und kann nicht mehr
zwinkern
geschweige denn lächeln.
Das tut sie eben nicht.
Wer schaut denn da noch
und wird geschaukelt
weil die Höllenpferde
beginnen zu ziehen
und die Erdlöcher sich
bemerkbar machen
die Räder brechen
weil der Stellmacher
kein Eisen kennt.
Hü Schimmel hü.
Der Kutscher sitzt oben auf
und hat seine übervolle
Fuhre.
Ein eigenartiges Bild.
Sie werden alle abgeworfen
am Strand
und das Heu verfliegt
mit dem Wind.
6
Wollen wir noch andere Bilder finden
von dem Maler in Utrecht
oder anderswo?
Der absurden Spiele
der Urteile,
die vollstreckt werden?
Des verdammten Höllenschlundes?
Des Halses, durch den alles geht?
Der Mühle
die alles mahlt?
Faszinosum bis zum
Stillstand.
Wir haben seiner gedacht
des H.B. in diesem Jahr
des HERRN.
Und viele sind losgefahren
um in seiner Heimat
die Dinge besser
zuordnen zu können.
Lob.
Lob.
7
Das Rad der Geschichte
ist abmontiert
auf dem Platz
vor
des
Volkes
Bühne
im Osten
unweit
der
unsichtbaren
Grenze
Berlins.
Sie haben es beleidigt
nicht nach Berlin
West verbracht
sondern
wenn schon
dann schon
in das Land der Freiheit
der Marianne
des Hahns
der
Maria Magdalena
sie soll ein Flüchtling des Mittelmeeres
gewesen sein von Jerusalem an die
französische Riviera
Cannes und so.
Das Rad der Geschichte
das kaputte Rad der Geschichte
das Sinnbild eines zerbrochenen Rades
nicht auf der Zinne
– nie wieder –
sondern auf dem Rasen
gar nicht rostfrei
gegenüber dem Parteihaus
mit dem schönen Namen
ROSA.
Texte auf dem Pflaster.
Babylon gegenüber.
Schräg.
Ein Nachtbold
hat das Straßenschild
überklebt
mit einem
anderen Namen:
Ronald Reagan.
Nachdem ein Freiherr in Hohenschönhausen
und Kornblum diesen Präsidenten gewürdigt
haben
zu seinem 100. *-TAG.
Wegen dem Fall
der Mauer.
Jetzt wird es ein Allzwecktheater
wie Babylon.
Und auch in der Zeile:
Gauckbehörde
Berlin.
Schlimmer geht’s immer.
Schlimmer, Schlimmer.
Nimmer?
8
Troika
Quadriga
zerbrochenes Rad
Lenkrad?
9
Steuerbord rechts oder links.
Geradeaus sowieso.
Denn der Sturm bläst
wie er will.
Der Wind.
Steuerbord
Rad
Schiff ahoi
Kahn der ewigen kleinen Leute
Fröhliche Wissenschaft ahoi.
Kahn der fröhlichen Leute.
Halt es fest
wenn alles bricht
Vergiß es nicht.
Das Rad.
Oder greif hinein.
Wenn du kannst.

Kalendergeschichte – Dezember
- Eine der vielen Weihnachtsgeschichten.
Endlich klingelt es einmal wieder in unserer Zweisamkeit.
Nachts.
Wir fahren auf und stehen in den Betten.
„Geh du!“
„Nein du!“
Als ob wir wüßten, wer es war.
Grauen.
Tatsächlich, es stehen zwei Kapoleute vor der Tür, die gehört haben, es sollen sich Weihnachtskerzen aus rot-und weißgefärbtem Wachs in unserer Wohnung befinden.
Im Keller.
Zum Anzünden am Heiligen Abend.
„Nie und nimmermehr!“ rufen sie im zweistimmigen Chor. „Unterstehen Sie sich!“
Wir fragen, auch zweistimmig (Tenor und Sopran),
wer sie geschickt hat.
Sie antworten: „Das Amtsgericht. Es ist untersagt, Kerzen zum Anzünden aufzubewahren.“
„Warum?“
„Es ist eine Gefährdung.“
„Wieso?“
„Wachs brennt und außerdem haben Sie eine Fichte
aus dem Kirchenwald Mannichswalde im Thüringisch-Sächsischen Grenzgebiet – extra schön – geschlagen.
Wir haben das Gespräch mit dem zuständigen Pfarrer abgehört.“
„Dürfen Sie das?“, fragen wir zu zweit in die fahle Lichtdämmerung der Beleuchtungsanlage im Wohnpark Nr. 8 -13.
„Wir dürfen alles, wenn es um die Sicherheit der Bürger geht und um ihre Gesundheit.“
Zweistimmiges Kapolied:
„O-O-O b e r s t e P r i-o-r i-t ä-t ä t !“
(Tenor-Kopfstimme und Bariton).
Dieser Refrain, diese Strophe kam immer wieder.
Und es hallte zurück aus dem naheliegenden Wald.
Wir konnten es nicht mehr hören und knallten, unhöflich wie wir sind, die Tür zu.
Da brachen sie sie auf. Die Tür.
Wir ahnten nicht, daß sie es ernst meinen.
Die schwarzen Helme der Sicherheitsleute glänzten im Mondlicht und strahlten unter den Parkleuchten, die die Nacht so grell fade erscheinen lassen, daß es einen umtreibt.
Nur eine flackert und geht stundenlang aus.
Worüber sich alle freuen.
Aber es darf nicht sein.
Es hätte längst gemeldet werden müssen und abgestellt, also angestellt.
Ohne Flackern und Pause.
Der Hausmeister hat bestimmt deswegen
ein schlechtes Gewissen.
Ich fürchte, es hat ihm schon jemand gesteckt.
Oder auch nicht.
Weil sich wirklich a-a-a-lle freuen.
Ausnahmsweise.
Also wir gehen einmal davon aus,
daß der Hausmeister es gar nicht weiß,
weil im Morgenlicht, wenn er kommt,
alle europäischen Birnen nur noch Glas sind,
ohne brennenden Docht.
Abgeschaltet.
Obwohl – im Winter stimmt das nicht ganz.
Inzwischen haben sie die Tür wieder aufbekommen
und wir stehen zitternd vor Kälte und Schreck.
„Lassen Sie uns durch! Haussuchung!“
Neulich Nacht hatten wir die Schweine zu Besuch, die wälzten sich in der Lake unterm Dornenstrauch. Nur ihre Spuren hatten wir am nächsten Tag zu Gesicht bekommen. Das war doch was. Einen Kurzbericht wert an die Enkel.
Aber das?
Sie nahmen ihren Helm nicht ab und stürmten die Wohnung.
Sie fanden nichts.
Dann zeigten wir ihnen den Weg.
Auf dem Wohnparkweg ums Haus durch den Haupteingang in den Keller.
„Aber bringen Sie erst das Schloß in Ordnung“, sagte ich und zog eine Pistole, die ich mir bei einem Waffenhändler in Tirol gekauft hatte unter Vorlage einer Berechtigung. Sie wurden nervös. Bloß keinen Aufruhr mitten in der Nacht unter Ausleuchtung aller Details.
Sie rannten zu ihrem Überfallwagen und brachten
ein Ersatzschloß, das sie einsetzten mit Hilfe eines Schlossers, der die ganze Zeit auf der hinteren Sitzbank geschlafen hatte. Niemand hatte damit gerechnet, daß wir ihnen die Tür vor der Nase zuknallen.
Am wenigstens der Schlosser, ein friedlicher Mann.
Nun haben sie ihn also wachgerüttelt.
Nach all dem nun hinunter zur richtigen Kellertür.
Dort lagen sie: die Schachteln mit roten und weißen Christbaumkerzen.
Vom Schwarzmarkt.
Aus Rußland eingeschmuggelt, sagte uns vertrauensvoll unser Händler.
Eins, zwei, drei, vier mal zugreifen und hinein in den Beutel aus schwarzem Samt.
Keine Verhaftung aber Beschlagnahmung.
Wieder oben.
Sie gingen zu ihrem Jeep.
Kein Gruß.
Der Handwerker stand auf dem Parkweg, auf dem er gewartet hatte. Dann stürzte er als erster auf den Jeep zu und riß die hintere Tür auf.
Endlich war die Aktion abgeschlossen.
Irgendwo gibt es Löcher in dem Zeittunnel,
über die die roten und weißen Christbaumkerzen
zu uns gekommen sind. Das Geheimnis ist beschädigt worden. Ja, es hat jemanden so in Aufregung versetzt, daß er geplaudert hat. Vielleicht auch angezeigt bei den obersten staatlichen Behörden.
Wir mußten nun eine elektrische Baumkette kaufen.
Europäische Norm, dachte ich.
Aber mein Frau nahm mich beiseite: „Sie sind dumm, sie haben nicht nachgeschaut unter dem Rost, auf dem sie gestanden haben, als sie geklingelt haben, mitten in der Nacht. Den sie fast durchgetreten haben, als sie mit Gewalt das Schloss zerstörten, indem sie sich dagegen stemmten.“

Kalendergeschichte – Februar
Oder – der Grundriß einer Wohnung.
Anfang Februar.
Plötzlich klingelt es – wieder.
Es hat tagelang nicht geklingelt.
Auch nicht nachts.
Der Postbote, der das Paket des Nachbarn los werden möchte?
Der Nachbar selber, der es endlich wissen möchte?
Was geschehen war.
Neulich nachts.
Uns trennt nur ein schmaler Fußweg und beidseitig so etwas wie ein grüner Graben.
„Vorsicht Ökologie“, rufen die Ewiggestrigen.
Es gibt ja keinen Frühling, Sommer, Herbst und Winter mehr und man erkennt an den Stoppelfeldern, über denen die Drachen hoch fliegen nicht mehr, ob es wirklich Herbst ist. Stoppelfelder vielleicht noch als Erkennungsmarke einer Jahreszeit. Eben kurz nach der Ernte. Wann ist die. Na ja – ungefähr noch wie früher.
Aber Drachen.
Geht doch an die Ostsee.
Dort fliegen sie immer.
Oder in Kopenhagen haben wir sie über die Dächer fliegen sehen mitten im Sommer, von einem Fenster aus gehalten.
Nichts stimmt mehr.
Sofort der Pflug.
Sofort kommt der Samen in das Land.
Fruchtfolge.
Also, der Graben ist immer grün. Man könnte meinen, es ist Kunstrasen.
„Alles nur Deko“, singt der Chor in der Parkaue.
Und dann noch einmal die Ewiggestrigen:
„Vorsicht Ökologie!“
Das Regenwasser läuft besser ab nach den Berechnungen.
Die Büsche in den Gräben sind kurz gehalten.
Sie sollen dem Haus nicht schaden und uns keine Dunkelheit bereiten.
Dabei wollen wir sie, die Dämmerung des Gebüschs, wenn die Sonne hernieder scheint im Sommer.
„Nein, nein, nein!“ rufen einige Bewohner. Sie wollen noch mehr eigene Fahrzeuge.
„Und überhaupt nicht mit dem Bus fahren!“
„Hört auf mit dem Gemaule“, schaltet sich der Hausmeister, der auch als Parkwächter fungiert, zwischen die streitenden Parteien.
Also kein Nachbar?
Auch nicht einer von den vielen gegenüber vom Fußweg: Doppeltes Längshaus.
Wir sind Parterre. Eigentlich Souterrain.
Und wenn es klingelt, stehen sie sofort im Haus,
in der Wohnung. Wenn du erst einmal aufgemacht hast.
Kennst du die Geschichte vom Schuhmacher, der auf Jesus wartet, weil im Traum ihm jemand gesagt hat: „Der wird dich morgen besuchen!“
Du kennst sie nicht? Hol‘ es schleunigst nach.
Nimm und lies und mach dich auf!
Hau auf die Trommel, die du finden wirst,
damit sie aufwachen: die Schläfrigen und Müden.
Du weißt auch nicht, wer wirklich kommt?
Der Mensch kommt, du wirst lachen, der Mensch, der gerade verlorengegangen ist. Der sich verliert im ganz und gar Unmöglichen und andern unsäglichen Dingen.
Aber es sind die Armen, vergiß es nicht.
Nimm und lies den Schriftsteller Tolstoi,
oder wo es sonst noch zu finden ist.
Du wirst es selber sehen.
„Siehe ich stehe vor der Tür und klopfe an“,
spricht CHRISTUS DER HERR.
Erinnere dich an den russischen Schuhmacher im Souterrain.
Hat es wirklich geklingelt, ich bin allein zu Haus.
Und mach nicht jedem auf.
Es ist in der Dämmerung eines grauen Februarnachmittags.
Gut, daß die Büsche kurz geschoren sind,
sonst wäre es dunkel, gerade jetzt.
Wie recht haben sie: die Grünzeugflotte des Senats und die Kolonnen für die Bepflanzungen.
„Gut, dass die Büsche kurz geschoren wurden, gegen unseren Widerstand“, werden wir uns immer wieder zuflüstern, wenn es ernst wird.
„Und du erkennst niemanden mehr in der Dämmerung,“ murmeln wir einträchtig in voller Harmonie mit allen Bewohnern des Wohnparks.
Vor allen Dingen kommen ja auch noch die Wölfe von Polen herüber. Die Zeiten ändern sich.
Einen Spion haben wir nicht. Also öffne ich die Tür. Und wieder stehen zwei Männer in schwarzer Uniform mit der Aufschrift vor der Tür. Sie halten mir einen Beutel unter die Nase. Er kommt mir bekannt vor.
„Gehört der Ihnen?“
„Nein, aber ich habe ihn schon gesehen.“
„Wann?“
„Vor Weihnachten.“
„Erzählen Sie!“
Ich bat sie, herein zu kommen, aber sie wollten nicht.
Es muß POLIZEI sein. Schwarze Klamotten…
Die betreten nicht so einfach eine fremde Wohnung ohne einen Hausdurchsuchungsbefehl.
Einer von beiden dreht sich nach links so, daß ich auf seinem Rücken in großen Buchstaben
POLIZEI lesen kann im Dämmerlicht
des späteren Nachmittags.
Diese bewaffneten Uniformierten. Sie hüten sich davor, die Bürgerinnen und Bürger in Angst und Schrecken zu versetzen. Bei der deutschen Geschichte.
Sie sind scheu.
Die beiden schwarzen Polizisten halten mir immer noch den schwarzen Beutel hoch vor meine Nase.
„Entschuldigen Sie, wenn Sie nicht hereinkommen wollen, dann muß ich den Türstopper durchtreten, damit ich nicht immerzu die Tür mit meinen Händen aufhalten muß. Das ist hinderlich, wenn ich mit Ihnen rede.“
„Ist Ihre Frau nicht zu Hause?“
„Warum?“
„Sie war Zeuge eines Vorfalls in der Zeit vor Weihnachten“.
„Wie ich auch?“
„Ja.“
Sie redeten im Wechsel einzeln oder im Chor
und endlich übergab der eine dem anderen den Beutel. Und sie hielten ihn nicht mehr ständig vor mein Gesicht.
„Wollen Sie nicht doch hereinkommen. Es ist Februar. Und der Wind macht die Wohnung kalt.“
Das haben sie eingesehen und sie kamen in den engen Vorraum und ich konnte zwei Schritte rückwärts gehen aus dem kleinen Vorraum, in dem die fremden Männer standen in Uniformen mit der Aufschrift POLIZEI,
aber ohne Namen.
Ich ging rückwärts durch die zweite Tür in den wesentlich größeren Mittelraum, von wo aus Wohnzimmer, Wintergarten, Küche, Arbeits-Dienstzimmer und das Zimmer mit der Um – die – Ecke – Schlafmöglichkeit abzweigen.
Alle Türen waren verschlossen und die beiden Polizisten waren nicht neugierig, so wenig, daß sie nicht einmal um eine Ecke geschaut hätten.
Gute Preußen am Süd-Ost-Rand Berlins.
Nach einer langen schweigenden Minute sagten sie dann aber doch:
„Ach wissen sie, wir nehmen Ihr Angebot an!“
„Welches?“
„Von vorhin!“
„Platz nehmen?“
Sie nicken im Chor.
Ich öffne die Wohnzimmertür und führe sie in den Wintergarten, der daneben liegt.
Die Tür ausgehängt, weil es meine Frau so wollte.
Ich zünde die Kerze an auf dem Tisch und bitte,
Platz zu nehmen.
Die Herren haben jetzt die Möglichkeit nach draußen zu blicken, dahin, von wo sie gekommen sind.
Wenn sie nicht zu abgelenkt sind von den Unmassen
an Bildern, die alle Wände schmücken.
Ah, ja, da kommen die Heimkehrer von der Arbeit auf dem Laufsteg und die hübsche Verkäuferin aus der Boutique von einem Großmarkt am See.
„Sie wissen inzwischen, warum wir geklingelt haben?“, der eine.
„Noch nicht ganz!“
„Weil wir Ihnen etwas zurückbringen möchten!“
Pause.
„Was Ihnen zu Unrecht abgenommen wurde.“
„Damals mitten in der Nacht, vor Weihnachten?“
„Richtig!“
„Sie sehen ähnlich aus – wie… die… damals!“
Pause.
Weiter: „Ich weiß nicht mehr genau, ob der Schriftzug POLIZEI auch auf ihrem Rücken zu lesen war.“
„Das können sie ja auch nicht, weil im Mondlicht und in dem fahlen Licht der Parkbeleuchtung das nicht so einfach war“, sagt der andere.„Ach so, ja. Sie standen uns ja auch nur gegenüber. Und dann der Überfall, Haussuchung. Wir waren froh, Sie in den Keller zu den Kerzen führen zu können.“ Dabei haben sie nicht an Lesen gedacht?“, der Linke vor der Wand mit Blick auf die Verglasung. „Kapo, Kapo,“ und weiter: „So geisterte es durch das fahle Licht in unseren Köpfen.“
„Na ja, Sie gingen ja auch vorneweg und haben ihnen nie auf den Rücken geschaut. Ein richtiger Polizist wird immer auf so etwas achten.“
Um zu zeigen, wie vertrauensvoll anders die Situation diesmal war, standen sie auf und drehten sich um.
„Lesen Sie!“
„Ihr Kollege hat sich vor der Tür bewußt so gedreht, daß ich den Schriftzug gut erkennen konnte. Auch in der Dämmerung eines späten Nachmittags im Februar: Polizei!“
„Sehen Sie“, der eine.
Wir alle drei: „POLIZEI!“
Berliner Polizei.
Die Sanftmütige.
Überhaupt keine Bullen.
„Und neulich?“
„Lassen wir das jetzt. –
Wir sind hier, um Ihnen zu sagen, daß alles seine Richtigkeit hatte. – Sehen Sie, hier sind Ihre ROTEN KERZEN aus Wachs.“
Der Linke öffnete den schwarzen Beutel, der mir so bekannt vorkam und zeigte sie mir.
Lange Pause im Wintergarten. Jeder sah den anderen an in der Dämmerung. Dann machte einer der Besucher das elektrische Licht an und telefonierte.
Der andere blies das Teelicht aus.
Im Chor der Linke und der Rechte: „Wir möchten aus Sicherheitsgründen noch die andere Packung haben.“ Keine Antwort von meiner Seite.
„Wir wissen, wo sie ist.“
„Deswegen hätten Sie uns auch nicht herein bitten müssen.“
„Viel zu viel Umstände.“
Der etwas Rundlichere – bei genauerem Hinsehen: „Die schwarze Tasche gehört uns“.
„Bitte gehen Sie vor die Tür und hebeln sie den Rost aus!“
„Warum?“
„Weil Sie dort die restlichen ROTEN KERZEN versteckt haben.“
„Unsere Recherchen haben ergeben, daß Sie doppelt so viel rote altdeutsche Wachskerzen bei dem Händler, der inzwischen in den Ruhestand gegangen ist, gekauft haben. Unsere Kollegen sind noch in der Ausbildung und haben sich mit der Hälfte zufrieden gegeben.
Sie haben natürlich auch Fehler gemacht: Grob, verwüstend u.s.w.“
Schweigen.
„Aber jetzt sind wir gekommen und erschrecken Sie nicht in der Nacht. Das machen nur Anfänger.“
Der Hagere: „Bitte gehen Sie jetzt!“
Er zog eine Pistole.
Ich stürzte durch alle Türen unter das Glasdach des Einganges, riß den Rost hoch und war froh, daß meine Frau noch nicht bis dahin gekommen war, wirklich alle Dekorationen in den Keller zu bringen.
„Hier, die Kerzen!“
„Danke!“
„Darf ich noch eine Frage loswerden?“
„Woher?“
„Ja, woher.“
„Der Nachbar hat es uns gesagt. – Geben Sie es doch zu, wie gefährlich es ist, einen Baum anzuzünden!“
Sie erhoben sich aus unseren Korbstühlen. Der eine steckte seinen Revolver wieder ein und der andere schmiss die doppelt gefüllte Tasche über die Schulter. Dann gingen sie zurück in den immer dunkler werdenden Tag. Sie warfen das Auto an.
Scheinwerfer – und surften davon.
Ich weiß bis heute nicht, ob es Polizisten waren oder andere vergleichbare Menschen, die sich umgezogen hatten, um ordentlich zu sorgen – für ihren Kiez.

Kalendergeschichten März bis Juni
Im Frühling.
Diesmal klingelt es überhaupt nicht.
Es kann gar nicht, weil: wir sind nicht zu Hause.
Aber auf einer Parkbank im Frühling
kommen zwei Beamte auf uns zu und stellen sich vor: „Erwin Schmidt, Geheimpolizei in Stuttgart.“
„Roland Gürtler, ehrenamtlicher Ortsteilbürgermeister in Schleendorf.“
„Ja, bitte“, ich.
„Ja, bitte“,meine Frau Gemahlin.
„Wir sind auf Reisen“, setzen wir noch hinzu,
als ob wir uns entschuldigen müßten.
Na und ob.
Natürlich.
Wir sind einmal wieder zu schnell gefahren und einer hat uns gesehen.
Nicht das Auge Gottes wie in den Abraumhalden
New Yorks in den 20er Jahren des Großen Gatsby. Nicht der Staatsicherheitsdienst „Zur Schorfheide“ 1988, nicht einmal die fröhlichen Nachbarn in Berlins äußersten Waldbezirken, die sind viel zu weit weg.
Oder?
„Wir sind auf Reisen!“
Auch nicht der Starkasten, der die Geschwindigkeiten fixiert. Ob er nun oval und schön aussieht wie in Schweden. Oder immer noch häßlich wie in Deutschland. Militärisch grün, pure DDR.
Die beiden sagen nichts.
„Na, wer hat uns denn angezeigt, diesmal?“
Eigenartig, daß selbst ein ehrenamtlicher Ortsteilbürgermeister es fertig bringt zu schweigen.
Das wird der Geheimpolizist mit ihm trainiert haben.
„Das falsche Benzin?“
„Du kannst sie nicht provozieren“, sagt schließlich
meine Frau.„Und du solltest es auch nicht!“ Nach einer gebührend langen in der Oper gelernten Kunstpause.
Ich rate weiter: „Ha,ha, ha – die irreguläre Glühlampe. Oder haben wir einen zu grünen Salat im Kofferraum, gemessen an europäischen Standarts?“
„Nichts von alledem“, sagt Erich: „Wir wollen Ihnen etwas zurückbringen!“
„Das haben mir im Februar in Berlin schon einmal zwei verkleidete Beamte gesagt. Sie haben es mir sogar gezeigt aber dann – verdoppelt – wieder mitgenommen.“
Meine Frau wird nervös, weil sie bei dieser Geschichte nicht dabei war. Ich nehme an, sie glaubt mir immer noch nicht. Es ist ja auch fast nicht vorstellbar: friedlich – sanftmütig – kriminell mit großen Buchstaben auf den Jacken: P O L I Z E I.
„Zurückbringen?“ rufen wir aber dennoch im Chor.
„Kommen Sie doch einmal mit an unser Auto“,
sagt Roland.
„Weshalb?“
„Das werden Sie schon sehen.“
Wir erheben uns ein wenig unschlüssig und gehen mit in die Richtung der beiden.Es beruhigt uns kolossal, daß der Ortsteilbürgermeister dabei ist und der Wagen von Roland und Erich gleich um die nächste Biege steht des breiten Kiesweges, der knirscht, was das Zeug hält.Von da ist es nicht weit bis zu unserem Quartier in Schleendorf im schönen Schwäbischen.
Halt, hatten sie vielleicht geklingelt an unserer Tür dort, in der Urlauberwohnung. Dann haben sie uns gesucht. Herausgefunden, daß wir nicht sehr weit weg sein konnten. Es lag noch Kaffeedampf in der Luft, die Türen waren nicht so hermetisch abgeriegelt wie in Neuzehlendorf, Berlin.
Die Frühlingssonne war gerade im Begriff unterzugehen in der künstlichen Sommerzeit.
Und wir waren nun wirklich gespannt.
„Haben Sie etwas gefunden, was uns gehört?“, fragte ich ahnungsvoll. So etwas war mir schon oft passiert.
Der Ermittler: „Nein, sie haben nichts verloren, da würde sich das Fundbüro melden und auch der Ortsteilbürgermeister hat anderes zu tun.“
„Haben Sie denn etwas verloren?“ unterbrach Roland.
„Nicht, daß wir wüßten“, meine Frau und ich gemeinsam, fast zweistimmig.
Erwin Schmidt, Geheimpolizist, Ermittler, Kriminaler feierlich: „Wir haben etwas gefunden in mühevoller Kleinarbeit, was Ihnen gestohlen wurde.“
Uns fielen alle unsere Sünden ein, wie in DDR-Zeiten, wenn wir aufs Revier bestellt worden sind, als plötzlich der Kriminale Erwin vor uns stand mit Roland, der Staatsmacht des Ortsteils Schleendorf in Baden-Württemberg. Das geht uns leider immer noch so bei jedweder Berührung mit diesen Außerirdischen.Wir kommen eben aus dem Ghetto, aus dem Untergrund. Aus dem Osten. Und das Licht zu dem wir uns mühsam empor gekämpft haben in der lang anhaltenden friedlichen Revolution blendet uns noch all zu oft.
Und wir lassen uns täuschen und fallen auf fast jeden faulen Trick herein in der Individualwirtschaft des Landes, wo die Sonne untergeht: WEST.
Und jetzt diese Wendung: Uns fielen wirklich die ROTEN KERZEN AUS WACHS ein, die im Keller unserer Parterrewohnung, die in Wirklichkeit eine Souterrainwohnung war, den Besitzer gewechselt hatten vor Weihnachten, nach Weihnachten wiedergebracht wurden für einen Augenblick. Aber nur um die zweite Packung auch noch mitzunehmen, die meine Frau listigerweise unter dem Rost vor der Tür versteckt hatte – unter Androhung von Gewalt! POLIZEI! Ordnungskräfte. Selbsthilfegruppe mit gestohlenen Uniformen? Jetzt kommt die Aufklärung der Geschichte. Da hat es sich doch gelohnt.
Aber warum Baden-Württemberg?
Kapo-Leute haben wir sie genannt, schwarz, wie die Tschechenpolizei im Sozialismus, wenn wir über die Grenze machten. – Highway. – Ungarn. – Freiheit.
„Sie schlagen schnell…“ flüsterten wir uns damals zu.
Es ist wie gestern.
Heute?
Wir sagten aber nie etwas…
Wir machen jetzt eine Pause, aber keine Angst:
die Geschichte geht gleich weiter.
Ich bin unterbrochen worden.
Irgend etwas wichtiges.
Vielleicht das Fernsehen.
Oder die AfD.
Oder ein nicht zu umgehender Telefonanruf, der getätigt werden muss.
Wahrscheinlich hat wirklich das Telefon geklingelt. Oder waren die Kinder noch da. Ich weiß es nicht.
Sie kommen immer zu Besuch, wenn in Sachsen Ferien sind oder in Thüringen: die Enkelkinder.
Jedenfalls: es gibt Wichtigeres als die Phantasien zu roten Kerzen, die alles volltropfen: Teppiche, Tischdecken. Und dann sind doch auch wirklich die Kunstkerzen aus elektrischem Licht viel geeigneter.
Und wir müssen keine Geschichten dazu erfinden und europakritisch werden mit seinen abstrusen Maßeinheiten. Nein, das müssen wir nicht.
Günter Grass hat über die KPD nachgedacht.
Wir über AfD.
So ist das.
Das war damals das eigentlich Erschütternde:
Im Bett liegen und über KPD nachdenken.
Der Trommler glaube ich. Und wir in der DDR mit unseren heiß ersehnten WestbesucherInnen,
die Günter Grass mitbringen. Und den Spiegel.
Man muß wirklich nichts schreiben.
Auch keine Kerzen an die Bäume klemmen und eventuell noch anzünden. Nein, nein.
Wir können es alles lassen, aber wir lassen es nicht.
Vielleicht gerade auch wegen der Enkel.
Es ist wie der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen bringt: Der Tropfen!!!
Aber es ist nicht einfach.
Plötzlich Pause und Unterbrechung.
Es gibt Wichtigeres.
Aber nur, wenn es auch Unwichtiges gibt. Ist doch so.
Nein?
Also zum Beispiel Österreich, diese Protestanten, diese Minderheit. Sie machen Ärger.
Es gibt noch andere Beispiele.
Hesse.
Ich habe ihn das erste Mal – wieder – in Österreich gelesen. Im schönen katholischen Tirol: auf 100 Leute ein Protestant. Die Atheisten lassen wir außen vor.
Sonst wird es kompliziert.
Hesse.
Ich erinnere mich noch ganz genau: Besuch getrickst aus der DDR zu einer Tante, die es nicht gibt.
Hesse.
Pietismus.
Schlag 10.00 Uhr.
Ich renne über die Wiese und spüre die Engigkeit in Baden-Württemberg nördlich von Stuttgart.
Alles gut.
Technik gut.
Mercedes.
Schiller.
Ich fliege über die Wiese, dem Bach zu und ich weiß, hier war Hesse zu Hause.
Und jetzt, also damals Urlauberseelsorge in Tirol – und der Hesse unter meinem Kopfkissen.
Mir war das immer so schwülstig…Aber was soll man machen. Irgend etwas muss der Mensch machen.
Dann bekommt er solch eine Biografie zwischen die Finger…..
Du kannst nicht nur predigen, auch nicht immerzu wandern. Trinken kannst du, einen Wodka unten bei die Russen. Das sind ja solche Gewölbe in Schwaz, wo sie uns einquartiert hatten. Neben der Garage, viel zu teuer für uns.
Aber auf den Berg könntest du.
Ist das wichtig.
Es ist beeindruckend.
Für Kinder auch, Erwachsene, Eltern und Großeltern.
Weiter geht’s.
Weißt du noch, geneigter Leser, wieso es uns nach Baden-Württemberg verschlagen hat im Frühling.
Hesse.
Von Berlin aus.
Von den Kellern aus, wo die Kerzen versteckt werden, damit die Kontrolleure sie nicht finden, die allen unnötigen Kitsch verdammen und Europa zum Opfer bringen.
Inzwischen ist der März vorüber und wir sind am Ende des schönen abwechslungsreichen Monats April, der macht was er will. Stürme. Schneeflocken. Regen. Minusgrade am Morgen.
Plusgrade am Morgen. Erste gärtnerische Versuche. 200 km von hier in Nordsachsen, um nur ja nicht zu versäumen, wenn der Vorsitzende des Kleingarten-vereins das Wasser anstellt, durch jeden Garten persönlich geht, aber wieder umkehrt, wenn der Sturm und die Flocken zu heftig sind kurz vor Ostern.
Also weiter mit diesen Kanistern, die gefüllten Krüge, zum Kochen und Waschen in der Minilaube am Rande von Z., wo die Leute reden wie in Halle an der Saale.
Aber endlich klärt es sich auf und nach Ostern Wasser Marsch aus allen Brunnen und die Leute sind glücklich. Es geht los. Die Saison hat begonnen.
Also Schwaben.
Das schöne Schwaben.
Hermann Hesse.
Die Abendsonne.
Nach den vielerlei Unterbrechungen wegen vieler wichtigerer Dinge als Aufschreiben einer völlig unwichtigen Erzählung über rote oder weiße Kerzen aus Wachs, die nicht mehr konform sind in der EU. Christbaumkerzen. Ah, Christbaum, vielleicht liegt da schon der Hase im Pfeffer, inzwischen im April der Osterhase, das alte Fruchtbarkeitsgeschenk.
Christbaumkerzen.
Der korrekte Ausdruck könnte ja auch anders heißen.
Wir haben länger die Zeitung nicht gelesen, das Radio nicht angeschaltet und den PC mißbraucht als Schreibmaschine ohne die ganze wunderbare Nachrichten- und Reklamewelt, aus der man ja alles erfährt, alles Notwendige.
Nun ja, jetzt hatten wir Ostern, das christlichste aller Feste – wenn da keiner etwas dagegen hat.
Wie sollte er.
Also ich erzähle weiter: Sie erinnern sich – die Biege. Dahinter das Auto von dem Kriminalen und dem Bürgermeister. Der Sand knirscht. Die Kiesel quietschen.
Die Sonne geht langsam auf den Horizont zu. Die Abendsonne.Wir sind im Frühjahr. Und machen einen Kurzurlaub. Hesse hat uns dazu verführt.
Sind wir einen anderen Weg gegangen als den, der zum Dorf führt? Die Biege müßte längst zu Ende sein .
Erst jetzt fällt mir auf, wie der Schlapphut herumläuft, besonders meiner Frau. Sie flüstert es mir ins Ohr: „Sieh dir den einmal ganz genau an und den anderen, bevor es zu dämmerig wird und du gar nichts mehr erkennst. – Wo ist denn nun der Wagen des Geheimpolizisten in Lederjacke?“
Der Ortsteilbürgermeister steckte sich eine Zigarette an, obwohl linkerhand der Wald begann. Aber es stand nicht POLIZEI auf seinem Rücken. Bei beiden nicht. Es war nicht so eng wie in unseren Räumen und Vorräumen zu Hause in Müggelheim (Berlin). Es war Freiheit in Baden-Württemberg, dem Musterländle.
Draußen im Freien gegen Abend bei schönem Wetter.
Endlich der Mannschaftswagen?
Ja, der Mannschaftswagen. Hier würden wir erfahren, was der Geheime uns zu sagen und zurückzubringen hat.
Wir fragten.
Er zeigte auf die Treppe, die „auf Deck“ führt.
Es saßen keine Soldaten auf den seitlichen Bänken, auch keine Polizisten.
Der Planwagen war leer.
„Zoll“, dachten wir. Rauschgiftdezernat.
„Bitte nehmen sie Platz!“sagte der Ortsteil-bürgermeister von Schleendorf, der er natülich nicht war, obwohl er so harmlos aussah.
„Sie wollten uns etwas zeigen?“
„Wir sind extra im Vertrauen darauf, daß Sie uns die Wahrheit sagen, mitgekommen.“
„Ja, wir waren dummerweise auch neugierig“,bemerkte meine Frau resigniert. „Der schöne Abend“, jammerte sie.
„Es wird noch viel schöner werden“, sagte die Lederjacke mit Schlapphut. Die Freundlichkeit in Person im Gegenlicht der untergehenden Sonne
vor der Parkbank.
„Wie meinen sie das?“
„Kommen sie endlich zur Sache, wir wollen nach Hause in unser Quartier. Und ich bestehe darauf, daß wir nicht zu Fuß zurückwandern, sondern Sie uns bitte schön nach Hause fahren.“
Plötzlich packten sie uns und legten uns Handschellen an und fesselten uns – wie den Spürhund – an jeweils eine mittlere Stützstange des Planwagens.
„Wir protestieren!!!“ – im Chor….
Längst waren die beiden Männer im Führersitz und fuhren los. Sie hatten uns gefangen genommen, wie zwei Schwerverbrecher. Sie haben uns angelogen. Zumindest der eine, der sich ständig als der joviale Ortsteilbürgermeister ausgab und mit seiner schwäbischen Zunge schnalzte. Und mit dem Daumen schnippte.Wie ein Berliner aus dem Ostteil der Stadt.
„…hab ich zahlt“, hören wir immer im X69, wenn wieder einmal eine schwäbische Gruppe im ehemaligen INTERSHOP, jetzt MÜGGELSEEPERLE-HOTEL, zu Gast ist.
„…hab ich zahlt“, dachten wir.
Wofür zahlen wir jetzt.
Sind wir schuldig geworden.
Ein Justizirrtum?
Sie hatten uns gelockt in das Dunkel des Waldes und des Abends im Frühling. Wir hatten uns keinen Dienstausweis zeigen lassen.
Wir sind naiv.
Uns fielen die horrendesten Geschichten ein:
Wir werden durch ganz Deutschland gekarrt,
den Rhein hinauf und hinunter…..
Aber erst einmal: sie steckten einen Hund unter die Plane. Er tat uns nichts, sondern legte sich winselnd neben den Eisenfuß einer Holzbank. Auf so einer
saßen wir. Hatten sie ihn aufgelesen, bemerkt im grellen Scheinwerferlicht ihres Holz-Vergasers.
„Aha, sie sind tierlieb und bremsen auch für Tiere.
Das hat man ja bei solchen Leuten“, dachte ich.
Und es fiel mir die deutsche Geschichte ein.
Ja wirklich, vorhin bremsten sie kurz und schmerzlos.
Es war der Hund.
Was wollten sie?
Wollten sie uns vor ein Gericht zerren.
Ein selbst erfundenes oder ein ordentliches.
Wenn er wirklich von der Kripo war, war es schon ganz gut. Wenn…
Und der Ortsteilbürgermeister?
Jetzt hatten sie erst einmal für eine Sekunde die Plane gelüftet, um den Vierbeiner unterzubringen.
„Können Sie uns sagen, was das soll?“, schrie meine Frau die Leute an. Es muß schlimm um uns stehen, sonst würde sie so etwas nicht machen. Es hat mich immer kolossal aufgeregt, wie ruhig sie oft geblieben ist, wo man sich schon mal aufregen konnte, ja mußte, nach meiner festen Überzeugung.
Keine Antwort.
Die Planen waren wieder undurchdringlich geschnürt in ganz raffinierten Mustern. Wahrscheinlich elektronisch untersetzt. Eingebaute Luftschlitze ermöglichten allerdings einen Frischluftzug.
Was sollen wir dem Vermieter sagen im Schwäbischen. Er hatte uns eingeladen zum Frühstück am nächsten Morgen in sein Haus. Er wird sich wundern wegen der Unhöflichkeit. Nur gut, daß wir uns noch einmal umgeschaut haben, wie immer, wenn wir aus dem Haus gehen, als wir die Ferienwohnung verlassen haben. Damit wir sie im Gedächtnis behalten, wenn wir wieder heimkehren.
Man kann ja schließlich einmal eine Nacht wegbleiben.
Das werden die Nachbarn in den anderen Ferienhäusern nicht übelnehmen, wenn sie es überhaupt registrieren.
Jetzt schüttelte es und rüttelte es aber. Es war ein Waldweg. Durch die Schlitze der Plane sahen wir, daß der Himmel sternenklar wurde….
Der Ortsteilbürgermeister stieg aus dem Fahrerhaus und kam zur Plane: „Aussteigen, bringen Sie den Hund mit!Wir machen hier eine Rast.“ Er schloss uns die Handschellen auf und schickte uns in den Wald.
„Hinten rechts sehen sie Toiletten. Die können sie benutzen“.
Tatsächlich sie standen da.
Kultiviertes Land.
Wo waren wir?
Wir wagten nicht zu fliehen. So schlimm war es ja auch noch gar nicht.Wir konnten schreien. Wer hört uns?
Außerdem glaube ich die Geschichte mit dem Hund nicht mehr. Wahrscheinlich ist er abgerichtet für Leute wie uns, wenn sie Angst zeigen und weglaufen.
Gebremst haben sie wahrscheinlich wegen Komplizen, die sie beauftragt haben, ihnen den und den Hund an die und die Stelle zu bringen an unseren Fahrweg.
Was w a r unser Weg?
Wir haben uns getroffen in der Mark Brandenburg, meine Frau und ich, nicht zu weit von dem Bäcker entfernt, dessen Frau so tolle Gedichte redigiert und selber schreibt.
Eines vom ungeborenen Leben.
Eines vom Baum in der Landschaft, der man selber wird.
Man muß nur bleiben in einer Welt des Grau.
Nein mit Grün hat das ganz und gar gar nichts zu tun.
Nur mit GRAU.
Das war lange her.
In Hirschluch.
Sie, die Studentin der Theater-und Kulturwissenschaften an der Humboldt-Universität. Worauf ich stolz bin: Auf die Theaterwissenschaft, wenn auch nur im Zweitfach dazu gemogelt. Auf die Kulturwissenschaft nicht, das war doch nur die Raffinerie der Ideologie, die Umwandlung von Salz in Zucker für das Volk, das sich dann später erhob und schrie:
WIR SIND DAS VOLK.
Kein Wunder.
Sie haben den Zucker, der kein Zucker war, ausgespien, den Polizisten vor die Füße.
Hirschluch ganz in der Nähe von unserem Vorort, wo wir in die Kirche gehen, wo die Spießer wohnen, die Sozialisten im Rentenalter, eine ansehnliche Wählerschicht, die Kopp-Bücher verbreitet und Verschwörungstheorien glaubt, falls ihr alter Glaube ins Wanken geraten ist.
Die Frau des Bäckers heißt Strittmatter, EVA und er, der Bäcker heißt auch Strittmatter, ERWIN, ein wenig pornografisch wie alle Handwerker vom Orgelbauer bis zum Bäcker. Es muß ja schließlich auch flutschen.Was ist wohl flutschen…?
Schreiben, ja schreiben, ruft ERWIN STRITTMATTER auch und legt los mit seinem Wundertäter. Dazu fällt mir nur Ulbricht ein und daß die Leute sagen, er sei der, der aus dem ROT-LICHT kommt in dem neobarocken Leipzig, um die Ecke.
Erwin Strittmatter in der Nähe von Leipzig und Berlin im gesamtdeutschen Maßstab der deutschen Wiedervereinigung: Seele ist Ausdehnung, sagt Konrad Lorenz, der Tierforscher. Na – zwischen Leipzig und Berlin, da gibt es noch Einziges – und Einiges. Die Lausitz, die Oberlausitz, die Niederlausitz.
Wo ist Fontane gewandert?
Wir müßten das prüfen im Internet.
Und den Grafen, nach dem das Eis genannt ist, auch solch ein Frauenheld: Wie war doch gleich sein Name, sein Gesicht?
Seine Herkunft?
Seine Zukunft?
Pückler.
Seine Parks.
So nahe an Polen.
An den polnischen Trödelmärkten.
Mädchen gab es hier nicht wie in Tschechien.
Ah.
Na, ja.
„Allet zwischen Oder, Neiße, Berlin und Leipzig,“ ruft der Berliner dazwischen.
„Da liegt Musike drin!“
Jetzt reden sie wieder alle durcheinander:
„In einem Polenstädtchen.“-
Der Chor.
„Der Grass ist hier auch gewandert.“-
Einer der Quertreiber.
„Mit der SS.“
Muß der das sagen.
In seiner Zwiebelperspektive des Weinens, für das man nicht kann wegen der Zwiebel, sage ich.
Sie ist schuld.
Hitler ist schuld.
Wir nicht.
Der Verbrecher.
Im Krieg, als der schon verloren war.
Da liegt ja auch noch Cottbus, nach dem das Cottbuser Tor benannt ist in Kreuzberg in dem Land Berlin. Kreuzberg mit „Golgatha“, ein wenig darunter, wenn man einkehren möchte. Ich nie, weil – Blasphemie ist nicht meine Sache in dieser Programmtheologie dieser Zeit und Stadt, wo nur noch am Stadtrand die Kirchen nach Heiligen heißen. „Marien“ und „Sophien“ ausgenommen.
Das stimmt.
Ein Glück, würde die Frau des Buchhändlers in der Biedermeierstadt Altenburg sagen.
Jetzt haben wir aber erweitert den Dunstkreis -nach Süden von Leipzig aus.
Am östlichsten liegt Dresden.
Sachsen und Preußen u n s e r Land.
Mein Land Thüringen.
Ihr Land Sachsen.
Aber geboren in der Mark, der Neumark.
Landsberg an der Warthe.
Ich.
Flucht.
Umsiedlung.
Mörsdorf.
Schöngleina. Schöngleine. Ich höre die Kinderstimmen und sehe den Opel P 4 mit dem Tierarzt.
Nein, ich höre ihn. Ein fernes Geräusch zwischen den Hügeln, auf denen jetzt Blockhütten des Sozialismus stehen: Datschen nach russischem Vorbild, damit wir uns ausruhen können nach der Mühe der Ebene. Altenburger hatten dort unter Umständen solch eine Hütte – im Holzland.
Meine Kindheit.
Zuflucht im Pfarrhaus, weil der Krieg jenseits der Oder verloren ist.
„Seele ist Ausdehnung“, ruft der Chor im Wald während der Pinkelpause für die, die hocken muss und den, der im Stehen pinkeln darf, wenigstes im Wald bei den Schwaben.
Schwabenwald?
Oder wo?
Wo sind wir, ruft der kleine Junge, wenn er unter die Kiefer gesetzt wird, weil die Mutter und die Großmutter, die Mutter des Vaters Reisig suchen müssen für den Winter.
Der kommt bestimmt.
Zwitschern diesmal nur die Vögel, ruft nicht auch Rübezahl im Holzland bei Mörsdorf und macht den Schlesiern Mut, die den Krieg hinter sich haben und ihre Heimat.
Und die Russen und die Deutschen.
Die Frauen. Die Männer. Die Kinder.
„Nun aber mal nicht alles durcheinander!“
„Ja, es ist aber alles durcheinander!“ gibt der Chor der Waldgeister dem Schreiber recht.
Und gerade ist Sonntag und wir wollten zur Besinnung kommen, Choräle singen und beten lernen.
Wir dürfen aussteigen aus dem Karren, der uns fährt.
Sie kennen die menschlichen Bedürfnisse und wollen nicht, daß ihr Karren beschmutzt wird weder durch Menschen noch durch Tiere.
Wenigsten dieser Ordnungstrieb hat sich erhalten.
Aber wir haben Angst.
Was wird noch kommen auf großer Fahrt. Wir wissen ja nicht einmal, wer uns fährt. Der Postillion, der Kapo, der Administrator. Eigentlich sind wir ganz weit weg von unserem Urlaubsort in Schwaben im Frühjahr diesen Jahres.
Um Hermann Hesse nachzuspüren.
Eine irre Idee, wo ich ihn nie leiden mochte. Dieses Weichei, bis, ja bis wir den Glockenschlag hörten über der Wiese und wussten: nein, diese Enge in Baden-Württemberg. Das war im Kalten Krieg, wo wir eigentlich andere Sorgen hatten. Aber vielleicht sind das ja die eigentlichen Sorgen, die wir uns nicht nehmen lassen wollten. Einmauern lassen wie den Hund im Mittelalter, der das Haus abergläubisch beschützen sollte?
Wir kamen uns wie der Hund vor.
Die eingemauerten Sorgen.
Nein, er war nur ein Anlass.
Hermann Hesse.
Nicht nur. Es zieht uns immer wieder in diese Gegend, als wir ihn gelesen haben im Süden, in den Alpen, ist uns das klar geblieben. Er hat uns bestätigt, dass wir eine Seele haben.
„Schwaben reicht bis zum Bodensee“, sagt jetzt meine Frau.
Wir steigen wieder auf.
„Wir müssen.“
Der Motor springt an und der Ortsteilbürgermeister entschuldigt sich bei uns für die Entführung. Er sei gar kein Ortsteilbürgermeister aus dem schwäbischen Örtchen, sondern ein gedungener Mörder, der frei herumläuft uns aber nichts tun wird, weil er nichts gegen uns hat.
Im Prinzip nicht.
Dann gibt er dem Kriminalen, der sicher auch nur ein Krimineller ist, das Lenkrad in die Hand von diesem elenden Holzvergaser mit Russenplane, die elektronisch untersetzt ist, und IFA-Motor und sagt: „Weiter!“
Nach einigen Kilometern wagen wir wieder zu fragen, was mit uns wird. Da gibt es nämlich ein Fensterchen, das wir aufmachen können zum Führerhaus.
„Das werdet ihr sehen.“
Der Hund winselt und tut uns nichts.
Es ist Nacht.Wir haben es gesehen.
Draußen im Wald.
Inzwischen wussten wir, es ist unser Schicksal.
Wir wussten nicht was.
Aber – das….
Wir fingen an zu überlegen.
Handy?
Nein.
Unsere Kinder?
Erst nach Wochen.
Wir hatten von drei Wochen gesprochen im schönen Schwabenland, wo die Schilder an der Straße stehen und auf Hölderlin aufmerksam machen, auf Möricke und na – ja: Hesse. Das Idol der Blumenkinder in Amerika.Wir hatten noch viel vor: hinüber nach Frankreich fahren zu den strengen französischen Eltern, wo sie noch Sie sagen, die Kinder, angeblich.
Wo die Eltern bedient werden, nicht die Kinder.
Strasbourg, wo der Troubadour in Goldweste und weißem leinenen Hemd auf Kosten des Staates die Leier führt mit den herzzerreißenden Melodien der FRANZÖSISCHEN REVOLUTION.
„KUNST, KUNST. KUNST…“ ruft der Chor dazwischen, von einer unangenehmen Zeitung
bestellt!
„Freiheit, Freiheit, Freiheit!“, singt die Lorelei und der Hahn pfeift sich eins, die deutsche Henne gackert.
Johanna kannst du pfeifen?
Holde Kunst und holde MUSICA.
Was ist das für ein herrliches Land.
Oder eben hinunter ans Schwäbische Meer.
Oder in die Liederhalle Stuttgart.
Weinberge wie in der Bibel im Gleichnis.
Tabak, daß es nur so kracht in der Gesundheit.
„Wein, Wein, Wein!“-
Aha, der Winzerchor ist durchaus präsent.
Die Raucher? – Keine Lobby!-
Höchstens in der verachteten 2. Welt.
Lettische Tennisschläger… und so.
Wir werden keinen Chor dazu aufmachen.
Obwohl: es kotzt mich an, der Gärtner versteckt seine Zigarette in einem freien Land auf dem Parkweg des Wohnparks in Berlin, den er pflegt.
Wie ein Halbstarker.
Er heißt Karl May.
Ungelogen.
Und die BIBEL bei den Frommen.
Die Pietisten in der Verfassung.
Die Bischofswahl in der Öffentlichkeit.
Jetzt sind wir wieder in Württemberg, nicht in Baden.
Und wir aus Ostberlin.
Ehemals Thüringen/Sachsen.
„Abraham ischt gesegnet“, hören wir noch den Vater des Posaunenchores.
„Nicht nur die Armen“, der Posaunenchor.
Aber nun?
Unter der Plane?
Im Schneckentempo durch den deutschen Wald.
„Wohin geht die Reise“, fragte mich neulich eine Leiterin eines kleinen südwestdeutschen Verlages.
FRAGEN WIR UNS AUCH.
Jetzt.
Heute.
Werden sie uns erschießen, weil wir irgend einen Strich durch eine Rechnung gemacht haben, von der wir nicht wissen, daß sie existiert.
In was sind wir geraten?
Wir schlingern durch den geordneten Wald ohne neuerliche Konzeption der süddeutschen Förstereien.
Das Benzin beziehungsweise das Buchenholz dampft zum Autoschornstein neben dem Cockpit hinaus in die frische Waldluft.
Es schlingert wie auf den Kaliningrader Straßen, wo der Prediger und Chauffeur uns von Schlagloch zu Schlagloch balancierte in seinem nagelneuen Moskowiterauto.
Fahren eine Kunst.
Mit weißen Glacéhandschuhen einer Großmacht, Rußland.
So, genau so, kam ich mir vor. Und erzählte es ausführlich, weil meine Frau nicht dabei war .
Vor Jahren Richtung Ostpreußen, Königsberg, Kaliningrad, eine Abschußrampe für Atomraketen der ruhmreichen russischen Armee.
Das ist Jahre her.
Jetzt ist jetzt.
Wahrscheinlich.
Schwarzwald oder Rhön, oder Taunus, deutsche Mittelgebirge jedenfalls. Die uns verbinden: Ost und West.
Schlingern.
Ist das Gestell hin.
Das Hirschgeweih – haben wir im Volkswagen der DDR gelernt.
Oder habe ich mich damals verhört.
Verführen lassen von der Poesie des DDR-Alltags: Trabant.
Ist das Lenkrad hin.
Die Aufhängung.
Gibt es WISMUT-Schnaps da vorne im Gehäuse.
Und wir unter der Plane, mittlerweile zwei Hunde
unter der Bank.
Was sollen wir sagen?
Was sollen wir tun.
Wir sind entsetzt.
Die Pinkelpause liegt schon lange zurück.
Ja vielleicht ist es immer noch die vornehm durch geforstete katholische Rhön.
Damals ist vor einer Stunde.
Ein Tag.
Ein Jahr.
Ein Mond.
Haben wir geschlafen.
HABEN SIE UNS EIN Gemisch verabreicht aus Kinderlimonade und…
Vielleicht.
Vielleicht.
Vielleicht.
Sind wir Tage unterwegs.
Jahre, Monate, Jahreszeiten.
Ach ja, das Fenster, wie ein Zeitfenster.
An der Decke des alten Armeelasters.
Was machen der Geheimpolizist und der Ortsteilbürgermeister mit uns.
Sie wollen uns quälen.
Bestrafen.
Der Weg ist das Ziel, wenn man kein Ziel hat.
„Goethe hat recht“, tönt der müde und immer matter wirkende Chor der Waldgeister.
Sie verstehen auch die Welt nicht mehr.
Eigentlich müssten sie keifen.
Sie sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren.
Warum nicht.
Es wird eben sachlicher.
25 Jahre deutsche Einheit ist ja auch genug, daß man sich wieder beruhigt.
Oder sind sie da vorne, der Kriminale und sein Gegenteil auch längst ausgewechselt worden von einem Geheimdienst, der selber längst ausgewechselt worden ist, weil er nicht länger zu rechtfertigen war.
Solche Fragen stellen wir uns.
Nichts ist zu vermitteln.
Wie es heute so schön heißt.
„Ja, ja besser unter einer Russenplane im Schwarzwald als im falschen Blätterwald Berlins!“, tönt es aus einer Ecke des Carrés,
War das der zugelaufene Hund.
Der wirkliche Mephisto.
Wir sind Faust.
Na, na.
Nun ist es aber wieder gut.
„Satiriker allet!“
So ein Berliner, der Köter.
Die Ecken scheinen besetzt unter den Bänken.
Quark, Quark.
Was für ein Wagen.
Wir gucken uns groß an und nehmen uns vor,
mehr auf die sogenannten überflüssigen
Stimmen im Marktkonzert zu achten.
Auf Fahrt.
„Thespis, Thespis!“, jetzt erwachen die Geister zu neuem Leben im Wald, im Wald.
Die Plane ist durchlässig.
Karre, karre dich durch die Landschaften Germaniens, wo vielleicht die Imperialisten geschlagen worden sind von den Thüringer Ersatzheeren, als die Römer frech geworden, sim, sim, sim.
Simsalabim.
Durch die undurchdringlichen Wälder. Wir schmiegen uns ungewöhnlich eng aneinander.
Weil wir nicht wissen, was kommt.
Schicksal.
Plötzlich lichtet sich der Wald.
Wir hören sein Rauschen nicht mehr weiter.
Elektrischen Licht fällt durch das Zeitfenster.
Kein Geräusch mehr von Gesträuch an den Seitenplanen.
Hört der Waldweg auf?
Wähnen sich die Fahrer, Gangster in Sicherheit.
Öffentlich auf einer Stadtautobahn.
Wir wollten uns doch gerade in des Waldes Dunkel
und Licht und seiner Dämmerung unsere Geschichte,
unsere Rebellion in Erinnerung rufen.
Jetzt Geschwindigkeit.
Anhalten.
Der Schornstein wird als Kulisse überflüssig und abmontiert.
Ein tolles Stilmittel.
Schade.
Sie schieben ihn zu uns in den Waggon.
Wir stellen die Füße darauf.
Nichts da.
Es wird eine Treppe besorgt, sogar die.
„Bitte!“, der Fahrer.
Wir steigen ab.
„Sie können jetzt das Weite suchen!“
Pause.
„Allerdings, wir finden Sie, jederzeit.“
„Falls Sie uns wieder in die Quere kommen!“,
tönt es vom Beifahrersitz aus.War das immer noch
der Kriminelle aus Schwaben.
Wir erkennen sie nicht mehr.
Wir standen unschlüssig.
Sie schoben den Transporter noch näher an den Straßenrand. Er stand vollkommen abschüssig.
„Geht!“
Wir gingen.
Zurück.
Nicht ins Helle, sondern dahin, wo wir meinten, hergekommen zu sein.
„Geht!“
„Schneller!“
Dann krachen Schüsse.
Wir schmeißen uns auf den Boden.
Die Kugeln pfiffen über uns hinweg.
Sie hätten uns treffen können.
Alles wegen roter Kerzen am Christbaum in Müggelheim?
Weil die Mitbewohner das nicht mochten von wegen der Sicherheit.
Ganz bestimmt n i c h t!
Und wegen uns verkleidet und austauschbar hinterher gereist.
In das Land Hermann Hesses, eines Schriftstellers, der uns nie viel gesagt hat.
Aber pflichtgemäß kundig gemacht.
Sein Leben ernst genommen.
Und unseres?
Wir wagten wieder aufzublicken.
Sie stiegen in einen Flitzer um.
Ein Dritter hat ihn aus Straßburg gebracht.
Der Planwagen stand schräg.
Beleuchtung fahl.
War hier die Grenze.
Wir kennen uns überhaupt nicht aus.
Außer in Berlin-Ost, Brandenburg, Mecklenburg, Thüringen, Sachsen.
Auch Sachsen-Anhalt, nicht so.
Was sind wir doch für eingezwängte Leute gewesen.
Die Hälfte unseres Ehelebens hinter Stacheldraht.
„Die Freiheit ist nicht so einfach“, stellen wir immer wieder fest und seufzen.
Der Wald verschluckt uns wieder.
Wir haben einen langen Marsch vor uns.
Nur keine Panik. Bald sind wir zu Hause.
Wir tun so, als ob nicht passiert ist, wenn wir den Ort finden, wo wir zuletzt saßen auf der Bank in der Wegbiege, um zu schauen, wie der Feuerball des Herbstes hinter dem Horizont verschwindet und uns zurück läßt in unserer Einsamkeit zu zwein.
Wir werden es den Wirtsleuten ein paar Häuser weiter erklären, wenn wir sie finden.
Aber wir bleiben nicht länger, wir brechen ab
und reisen.
Und nichts falsch machen, sonst finden sie uns, denkt jeder von uns beiden, aber sagt es nicht.
Schweigen im Walde.
Im wieder deutschen Wald?
Wer sind sie und wer sind wir?

Kalendergeschichte Juli
Endlich frei
Nach einer Weile des Wanderns im Zwielicht der Ungewißheit und des eben noch Erlebten eine Lichtung im Wald und wir suchen uns Steine, auf die wir uns setzen und warten.
Wir haben keine Landkarte und keinen Kompaß.
Wir sind ja von einer Parkbank im Schwäbischen entführt wurden, als die Sonne im Sinken begriffen war und wir gerade in unser Quartier zurückwollten , uns vorlesen wollten aus dem Club der toten Dichter oder Hermann Hesse, nachdem wir französischen Wein, Käse und deutsches schwarzes Brot aus dem Gästekühlschrank bescheiden aufgetafelt hätten
auf dem quadratischen Tisch am Fenster nach Osten,
wo die Sonne aufgeht.
Allmählich fiel uns das alles wieder ein, wie weiße Flocken, die von einem grauen Himmel fallen.
Was hatten wir erlebt.
Inzwischen.
Ist das alles wahr?
Oder Einbildung.
Es ist wahr und keine Einbildung.
Wir müssen uns wappnen.
Von was hatten wir gelebt.
Gab es eine Rationierung.
Oder haben sie uns in einen Tiefschlaf versetzt mit einer Dreifachspritze, in der auch Ernährung inbegriffen war.
Wie lange wird das vorhalten?
So einsam ist Deutschland nicht.
Nicht wie in den Märchen der Gebrüder Grimm, wo
der Wald kein Ende nimmt und des Rätsels Lösung
die Hexe ist, ohne die es kein Überleben gibt.
Die Hexe, die Brücke.
Die Hexe zum Überleben.
Allerdings: Immer der Kampf mit ihr.
Der siegreiche Kampf.
Die Eroberung des Terrains.
Nur dann kommt der Schwan
und die Kiesel leuchten im Mondlicht.
Und die Eltern ändern sich.
Kein Hexenhaus in Sicht.
Kein Pfefferkuchen.
Windstill.
Dort, ein Wartehaus.
Und da kommt er schon, der lustige Bus der deutschen Mittelgebirge, um uns aufzuladen, gegen ein geringes Entgelt.
Der Postbus, dachten wir.
Niemand in dem Bus.
Außer der Kraftfahrerin in schickem Hemd und roter Schleife.
Gut gemacht.
Wir fassen uns an der Hand und steigen ein.
Wir fassen Mut.
Es wird schon nicht wieder etwas passieren.
Eigenartigerweise hat uns die Fahrerin nicht gefragt, wie weit wir wollen. Wahrscheinlich verkauft sie Pauschalkarten für einen Weg ins Unendliche. Mindestens für ein Bundesland.
Wir hatten ja auch wirklich unsere Seniorenkarte dabei.
Bestens versorgt.
„Es muß ein Touristenbus sein, der angemeldete Mitreisende aufsammelt für eine der schönsten Reisen der Welt“, sagten wir uns.
Denn nach einer Weile des Fahrens wurden wir noch einmal begrüßt: „In unserem Luxusbus mit vier Sternen auf der Fahrt von Warnemünde, Rostock, Berlin nach Paris über Luckenwalde, Chemnitz, Thüringen, Saarbrücken!“
„Fahren Sie wohl!“
Eine eigenartige Ausdrucksweise: „Fahren Sie wohl!“
Es wird wohl eine Ausländerin sein,
die es besonders schön machen wollte.
Es war die Fahrerin.
Wie sie sparen!
Auch hier.
Wir hatten die Gruppe nicht wahrgenommen.
Oder waren sie so hinter den hohen Lehnen versteckt in ihrem geübten Reiseschlaf, daß wir sie nicht sehen konnten nach dem, was wir erlebt hatten.
Völlig benommen.
Verängstigt.
Es wurde immerhin geschossen an der Grenze.
Wir waren an einer Grenze angekommen.
An unserer eigenen Grenze.
Und liefen wie Ausgesetzte und Verschonte von Baum zu Baum, von Strauch zu Strauch.
Taumelten vor Glück, daß die Schüsse, absichtliche oder nicht, uns nicht getroffen haben.
Es waren doch Schüsse, die wir gehört haben?
Oder?
Der Transporter stand doch schief am Straßengraben und die Gangster entfernten sich?
Sie sollten uns einen Schrecken einjagen.
Das war ihnen nicht nur gelungen.
Wir sind fassungslos.
Wir sehen Gespenster.
Wir sehen den Gespensterbus.
Und dabei ist es ein Bus auf der Fahrt in die Stadt
der Liebe.
Oh.
Wir sehen, daß er leer ist.
Dabei verstecken sich die Insassen hinter ihren hohen Lehnen.
In der Dämmerung.
In der Nacht.
Das Licht ist ausgeschaltet.
Die Scheinwerfer draußen suchen den Weg.
Vornübergebeugt der Fahrer,
die Fahrerin jetzt neben ihm.
Aha, ein Wechsel hat stattgefunden.
Der Beifahrer ist nach vorne gekommen,
er hatte auch einen Gästeplatz
hinter einer Lehne auf der vorletzten Reihe.
Gleich neben uns.
Erst als er sich ächzend erhebt, bemerken wir ihn.
Die Fahrerin bleibt vorn.
Mit der Zeit werden wir müde und schlafen ein.Wären wir wach geblieben hätten wir uns an die Dunkelheit gewöhnt und die Gesichter hinter den Lehnen erkannt.
Zudem huschte ab und an der gute alte Mond an den Fenstern vorbei und traf mit seinem Strahl den einen oder anderen.
Sie werden uns wecken, wenn wir am Ziel sind.
Dann werden wir weiter sehen.
Kalendergeschichte August
Auf einmal fanden wir uns wieder in jener riesigen Höhle. Sie haben uns aufgelesen mit vielen anderen. Das kann ein Vergnügen werden.
Wie viele Tage waren wir eigentlich allein unterwegs mit dem Kommando, welches uns von unserer Aussichtsbank – der untergehenden Sonne entgegen – aufgelesen hatte und uns unter einem fadenscheinigen Vorwand weggelockt hatte zu einem Fahrzeug,
das sich als ein Vehikel der besonderen Art herausstellte: nämlich ein Gefängnis.
Es war ein Transporter für Gefangene, zeitlos, geschmacklos, stillos. Einmal Benzin, einmal Diesel, einmal Holzvergasung.
Keine Pferde, nein.
Nur Neuzeit.
Mehrteilig im Antrieb.
Ein Kunstwerk vielleicht auch.
Wer weiß.
Darin wurden wir herumgefahren, bis uns schwindlig wurde vor lauter Interesse und Freiheit und Gefangennahme, knurrendem Hund – der arme – unter den Pritschen zum Liegen, Schlafen und Sitzen.
Wir saßen ein am Tag.
Wir saßen ein in der Nacht.
Aber wir sind sie wieder los geworden.
An der Grenze zu Frankreich.
Zwar gab es noch eine Schießerei.
Wer weiß, wem sie wirklich gegolten hat.
Wir konnten uns zurückziehen und hofften,
sie würden nicht zurückkommen
in ihren Lederjacken und Kostümen.
Die beiden.
Immer dieselben.
Wer weiß.
Wir liefen und liefen.
Immer gefaßt an den Händen.
Wie Hänsel und Gretel.
Die Alten inzwischen.
Vielleicht hatten wir uns in‘ s Gras gelegt an einem lauen Sommerabend. Da waren sie und nutzten ihre Chance. Natürlich haben sie immer auch ein Betäubungsmittel zur Hand.
Sie brauchen nur die Nacht abzuwarten.
Nein, so war es nicht.
Das Haus in Schwaben für eine Auszeit als Ziel der Rückwärtsbewegung?
Es war zu gravierend an der Grenze.
Wir müssen uns durchschlagen bis in die Kiefernwälder des Nordostens, um schließlich in unsere Stadtwohnung zu gelangen am südöstlichen Rand Berlins.
Wir sind eingestiegen in den Linienbus.
Ganz freiwillig.
Endlich in ein System.
Endlich ein Fahrplan.
Endlich eine Haltestelle.
Wir haben gewartet.
Wir waren viel zu müde.
Wir sind eingestiegen in den Ferienbus.
Wir sind eingestiegen in den Bus, der sein Ziel kennt.
Die Stadt der Liebe.
Paris.
So ist das.
Wir sind eingestiegen in den Bus der Liebe
L‘ AMOUR.
Wir hatten schon viel vom Jüngsten Gericht gehört
und gelesen.
Die Bilder gesehen.
Zur Rechten und zur Linken.
Schafe und Böcke.
Christus der Weltenrichter.
Wir hatten uns schon viel zu sagen gehabt unterwegs
in dem umgebauten Mannschaftswagen
aus seligen DDR-Zeiten, als sie uns durchgeschüttelt hatten auf holprigen Waldwegen.
Jeder hat seine Geschichten erzählt.
Und jetzt diese Höhle, in der wir aufwachen.
Ku Klux Klan?
Ein etwas höher angelegtes Schiedsgericht?
Die Weisen aus dem Morgenlande?
Eine Gerichtsbarkeit, wie wir nicht kannten.
Situation um Situation spielten sie uns vor.
Es waren schlecht bezahlte Schauspieler und auch Schauspielerinnen.
Das ist nicht selbstverständlich.
Schauspielerinnen waren lange Zeit verboten.
Und überhaupt das Schauspiel.
Im katholischen Paris mußten die Rollen gesungen werden.
So entstand die Oper.
Oder es waren die Simultanspiele, die Mysterienspiele, die verkündigten, was gut und böse sei.
Hier in der Höhle haben wir es mehr
mit Schulbeispielen zu tun.
Wie aus der reformatorischen Tradition, um die rechte Lehre besser und einfacher „herüberzubringen“.
Ab und zu rieselte der Kalk von den Seitenwänden und die Flammen der Fackeln legten sich, richteten sich dann aber wieder auf.
Es war also nicht so schlimm mit der Zugluft.
Uns hatte man auf eine Bank gewiesen,
die nicht so furchtbar stabil schien.
Aber besser die, als gar nix…
Vielleicht war diese Bank
als Erziehungsmittel geeignet:
wir mußten schön still sitzen.
Die erste Situation
Ein Mädchen, das schmollte, weil sie fand, nicht genug geliebt zu werden.
Das ging wohl in meine Richtung.
Ich hätte sie ja auch mehr lieben können.
Demütig schaute ich nach unten
Meine Frau tröstete mich.
„Siehst du, jetzt weißt du, was du falsch gemacht hat.“
– Pause – „Damals“…
Blackout.
Alle Scheinwerfer an.
Mit der Dunkelheit war es jetzt zu Ende.
Der anwesende Richter gab ein Zeichen.
Er schnipste.
Und sieben andere Richter strömten aus den Ecken des Raumes und beratschlagten mit dem Obersten der Richter, wie diese kurze Szene zu bewerten sei.
Während sie beratschlagten,
ein Blick auf die Darsteller.
Sie setzten sich in den Sand und warteten,
ihnen jemand den nächsten Text in die Hand drückte.
Wie von Geisterhand wurde dem Anführer
eine Rolle gereicht.
Ein großer zusammen gerollter Bogen, eng beschriftet.
Er bat zwei seiner Mitspieler, ihm zu helfen,
das starke Papier am oberen Ende fest zu halten,
damit er es „aufrollen“ konnte in der Manege.
Sie lesen.
Und nicken sich zu.
Sie verteilen die Rollen für die nächste Geschichte.
Jetzt durchflutet helles klares Sonnenlicht den Raum.Vielleicht kam das Licht von oben und nicht aus diesen widerlichen Großscheinwerfern, auch nicht von den Fackeln, die dem Ganzen einen Hauch von Jugendveranstaltung gaben.
Ein junger Mann sitzt am Klavier und spielt und spielt.
Plötzlich springt er auf und rennt in die Tiefe der Höhle und reißt dort ein Fenster auf.
Der Wind fing an zu wehen und alle mußten ihre Hüte fest halten, der Regisseur die Rolle auf dem Sand, auf die er sich vorsichtshalber legte.
Der jetzt verstärkt herabrieselnde und vom Wind getriebene Kalk legte sich auf alles.
Auf die Gesichter, auf die Spieler.
Auch auf uns.
Ich fing an mich zu erinnern.
Ich liebte ein Mädchen über alle Maßen.
Aber ich wagte nicht, es ihr zu sagen.
Immer kam mir das Bild des russischen Bauern vor die Augen, wie er eine selbst geschnitzte kleine Ente fast den Nacken einer jungen Frau berühren ließ.
Aber dann abließ mit seinen Versuchen,
sich dem Mädchen zu nähern.
Das Mädchen konnte ihn nicht wahrnehmen.
Sie konnte seine Zärtlichkeit nicht bemerken, die er ihr schenken wollte.
Er wagte nicht, sie zu berühren.
Ja, da riß ich das Fenster auf und ließ die kleine Nachtmusik über das ganze Tal erschallen, daß sie hinüberreichte bis in die Kammer.-
Meine Frau fragte mich, warum weinst du, es ist doch eine so schöne Musik, die der junge Mann da zaubert an diesem Ort.
Auf einmal ist es ein guter Ort.
Ich schaute sie an und nickte ihr zu.Wie recht hatte sie.
Plötzlich schlug das Fenster im Finstern zu und augenblicklich legte sich der aufgekommene Wind.
Und der Kalkstaub fiel von uns ab.Und die Gesichter waren nicht mehr weiß und verkalkt, sondern braun, rot, fahl, blass, gesund, krank. Mit stechenden Augen, mit freundlichem Blick.
Ob es nun die Richter waren, alle wieder getaucht in das Halbdunkel.
Die Luke hoch über uns wurde wieder geschlossen.
Ob es der Oberrichter war.
Die Spieler rollten die Rolle wieder ein und übergaben sie dem Spielmeister.Wenn ich mich nicht täusche, wurde ein Gefährt von oben herabgelassen.Auf seine Ebene wurde die Rolle gelegt und nach oben gezogen.
Die Truppe konnte sich erst einmal wieder
zurückziehen.
Wir warteten auf den Richterspruch.
Aber es kam keiner.
Der Sekretär hatte seinen Block gezückt
und sich Notizen gemacht.
Wahrscheinlich ist alles noch längst nicht zu Ende.
Die Richter setzten sich auf die Bänke uns gegenüber.
Wahrscheinlich schliefen wir ein,
nachdem sie uns eine Tablette gegeben hatten.
Eine Mehrfachtablette mit mehrfacher Wirkung:
Nahrung, Gesundheit, Schlaf.
Nachts wachte ich auf.
Eine Fackel an der Höhlenwand
leuchtete spärlich den Raum aus.
Wir waren allein in der Höhle.
Wahrscheinlich hatten sich die Mitspieler
und die Auswerter des gezeigten Spiels in bequemere Gemächer zurückgezogen.
Wir lagen auf einer Kamelhaardecke vor unserer wackeligen Bank.
Ich dachte an Flucht. Aber es gab keinen Ausgang.
Auch keine Leiter, um an die Luke in großer Höhe heran zu kommen.
Die Luke wird von außen gesehen solch eine kleine Betonerhöhung in der Landschaft sein. Wie man sie oft findet, um die Kanalisation ab und an mit dem Tageslicht zu verbinden. Dann müßte jemand von außen auf Signalton den Deckel wegschieben,
oder dergleichen.
Wie war das mit dem Flutlicht der Sonne und des Sommers.
Es gab ja sogar Schatten, wie draußen.
Dann verbinden uns die Schatten mit der Welt
da draußen.
Ich weiß noch wie ich die Jugendlichen das Gruseln gelehrt habe über der Existenzphilosophie der Griechen: Wir alle sitzen im Blues.
Das ist die platonische Höhle.
Aber Christus im Grab. Rolling Stones.
Der Stein ist weg.
Christus im Licht.
Ich bin wieder eingeschlafen. Gott sei Dank.
Keine Leitern an den Wänden.
Kein Ausgang.
Vielleicht liegen wir in der Tiefe der Höhle,
an ihrem Ende.
Und die Akteure von außen, von draußen, aus dem gleißenden Licht der Scheinwerfer und der Sonne.
Wir sind die Gefangenen.
In Untersuchungshaft.
Das Gefängnis ist eine rotbraune Erdhöhle mit Kalkelementen.
Aber sind wir nicht in der Bundesrepublik Deutschland. Mindestens in Europa. Nahe der französischen Grenze oder der belgischen.
Es wird wohl eine der vielen Erziehungsmaßnahmen sein, die sie anwenden, bei Leuten,
wo der Gesetzestext versagt.
Hoffen wir es.
Gibt es eigentlich Anwälte in dem Spiel?
Die zweite Situation
Auf einmal taghell.
Wir werden wachgerüttelt von Kapo-Leuten,
die wir kennen aus allen Zeiten,
die uns zugänglich sind.
Verkleidet?
Ja, es waren die Schauspieler.
Einer tanzte als Clown an uns vorüber.
„Der Bagger!“ riefen sie im Chor
„Der Bagger, der Bagger!“
„Der Baggerfahrer!“
„Eine zwielichtige Gestalt“, flüstert mir eine Tänzerin ins Ohr.
Die Richter in ihren Roben erheben sich müde
von ihren Bänken gegenüber.
Wir hatten sie völlig vergessen.
Aber sie waren noch da.
Hatten sie kein zu Hause?
Tatsächlich, ein Bagger schob sich langsam nach vorn, geradewegs auf uns zu. Es war eigentlich kein Greifarm, der märkischen Sand oder Thüringer Erde oder Geröll in den Alpen in seine Schaufeln nahm und sie herüber schwenkte auf den bereit stehenden Lastwagen. Dazu war es hier zu eng, jedenfalls nach jetzigem Ermessen.
Nein, es stand da ein Prediger auf der kleinen schwenkbaren Hebe-Bühne, mit Gitterstäben gesichert.
Er fuchtelt und fuchtelte.
Aber wir verstanden kein Wort.
Vielleicht sollte er singen.
Jetzt wurde der Motor abgeschaltet vom Baggerführer mit Helm. In Schwarz-Gelb.
Die Bühne senkte sich auf den Boden.
Der Clown sprang und öffnete das Gittertürchen für den Neuankömmling.
„Hoch lebe der Neuankömmling!“, riefen die Schauspieler und Schauspielerinnen.
„Bravo“, riefen die Richter in ihren Roben und klatschten dezent, dann aber mehr und mehr.
Ja, mit den Füßen stampften sie irgend einen Takt.
Dem Neuankömmling wurde ein Ehrenplatz zugewiesen.
Allmählich stellten die Beleuchter wieder dieses eigenartige Dämmerlicht her, wie es heute allgemein beliebt und beliebter wird.
Der Mann mit Helm stieg vom Bagger herunter, ein hellgelbes schönes Fahrzeug, und mischte sich
unter die Truppe.
Er war der Mittelpunkt. Unbestreitbar.
Die Damen umgarnten ihn.
Er flog auf Frauen, hatte man den Eindruck.
Der Spielführer erschien mit einem silbernen Tablett und überreicht ihm einen Wismutschnaps.
Dann kam ein Bäcker und bot Salzbrezeln an.
Nachdem dieser kleine Empfang glücklich überstanden war, wurde das Licht noch weiter heruntergeschraubt.
Man sah nichts mehr.
Wir legten uns wieder.
Die Roben wurden unsichtbar.
Und der Kumpelmann rief: „Licht aus, Licht aus…!“
Ein unanständiger Kinderreim aus meiner Jugendzeit, aus glücklichen Dorf-Kinder-Tagen.
Er schien aber auf sein Gefährt zu steigen.
Grelle Scheinwerfer.
Motor heult auf.
Rückwärtsgang.
Jetzt schien es mir, ich würde sein Gesicht,
diese Maske wieder erkennen.
Ja, als winkte er mir zu.
Dann dreht er sich um.
Er mußte den Weg aus der Höhle finden.
Wir konnten nicht mehr schlafen. Wenn auch das Licht ausging und heruntergeschraubt wurde auf Null. Stockfinsternis. Es wurde gehuscht und getuschelt.
Wir legten uns neben unsere Bank wie schon gehabt. Die Bilder tanzten an uns vorüber.
War das ein Event, den das Reiseunternehmen organisiert hatte, für das der Bus fuhr, der uns aufgelesen hatte und dem wir uns anvertrauen wollten.
Natürlich wußten wir nicht, wer wirklich in dem Bus saß. Und wir wollten es gar nicht wissen. Jedenfalls nicht so genau. Wir wollten einfach nicht mehr laufen und hofften so mit den Leuten ins Gespräch zu kommen, daß wir Orientierung und Hilfe bekamen,
wie wir am besten zurückfinden konnten.
Es mußte Schnittmengen und Schnittlinien geben, Kreuzungen, wo man entscheiden konnte, in welche Richtung man umsteigen wollte.
Bis wir merkten, das war kein Linienbus, sondern ein Bus des Himmels und der Erde.
PARADISO. Ein Gefährt der Freude. Der Liebe und der Hoffnung.Keiner wollte uns sagen, wohin die Reise geht. Es war ihr Geheimnis.Wir konnten den Bus auch nicht anhalten, höchstens, daß es zu einem Halt kam, weil die Passagiere das in ihrer Mehrheit verlangten wegen Notdurft, Bewegung und frischer Luft.
Das muß eingeplant werden, auch von den verrücktesten Unternehmungen der Werbebranche,
die die Welt beherrscht. Nun warteten wir auf den Halt, um uns dann dort zu erkundigen, wie es weiter geht.
Vielleicht gab es ja auch eine Tankstelle, einen Imbiss, einen Grenzübertritt, einen freundlichen Tankwart und entgegenkommende Verkäuferinnen und Verkäufer.
Und nun waren wir hier in der Kleistschen Höhle des Käthchen von Heilbronn. Mystisch, verkehrt. Gelb, Schwarz. Da – es schien einen Totenkopf auf einem Faß zu geben.Gab es einen Mond, der bis hierher seine Strahlen sendete, daß die Uranfässer anfangen konnten zu fluoreszieren? Wollen Sie uns zeigen, wo das Millionen-Atom gelagert wird. Schon der Bagger kam mir verdächtig vor.
Mein Frau stieß mich an:
„Rezitiere dein jüngstes Gedicht! Bitte!“
Ich tat ihr den Gefallen nicht.
Sondern schwieg.
„Erzähle du eine Geschichte!“
Plötzlich huschte der Strahl einer Taschenlampe
über unsere Gesichter.
Wir verhielten uns ganz ruhig und taten so,
als ob wir schliefen.
Wir mußten mitspielen. Wohl oder übel.
Entweder einer der Richter in seiner Robe, auf seinem Schlafplatz – es erging ihm so wie uns, er konnte keinen Schlaf finden -, aber nein, es war mit Sicherheit eine Schauspielerin, die auch gleichzeitig als Tänzerin angestellt war, das belastet das Budget weniger, – jedenfalls wurde ein Lied gesungen, von einer Harfe begleitet:
Das Schlaflied.
Flaches Land. Flaches Land
wie bist du abgebrannt.
Wolltest aufsteigen in den Himmel
bist geblieben bei der Bimmel:
Immer dasselbe.
Immer dasselbe.
Dein Bäume wuchsen bis in den Himmel
Der Sturm hat sie entwurzelt
Der Gärtner gestutzt
mit scharfer Scher.
Die Grenzenlosigkeit war dein Ziel
Welch ein Unterfangen.
Es gibt sie nicht.
Weil alles endlich ist.
Trotz Goldener Raketen
und Bällen, die um den Erball kreisen.
Flaches Land.
Nagel deine Zäune dicht
Miss deine Entfernungen aus
Damit du berechenbar bleibst
für deine Bewohner.
Allmählich konnte man nichts mehr verstehen.
Weder an Text noch an Melodie.
Die Sängerin entfernte sich in die Richtung des Baggers. Sie hatte den Ausgang gefunden.
Wir sahen uns an, so gut das ging in der Finsternis
der Höhle.
Das Lied war gut.
Jetzt war es ganz verklungen.
Als der Bus hielt in einer flachen Weingegend, war es gegen Morgen. Wir waren ja mitten in der Nacht zugestiegen.
Es gab keinen Imbiss. Aber Wasser.
In einiger Entfernung Chemietoiletten.
Dann Aufstellen und Abmarsch zwei und zwei.
Wir waren nicht mehr allein.
Wir waren ein Kollektiv.
An einer Kurve des Feldweges war ein Verpflegungspunkt aufgebaut.
Wir konnten im Gehen etwas essen,
wie bei einem Langstreckenlauf.
Alles sehr ungewöhnlich.
Da am Horizont ein Schacht mit einem Fahrstuhl in die Tiefe. Das war die Attraktion. So sind wir hinunter- gekommen und liegen nun mit Spießen und mit Stangen. Verschollene Goldgräberinnen, verstohlene Tänzerinnen, verlegene Spießer und ein paar Profis, von denen aber niemand weiß, wer es wirklich ist, werden uns unterhalten und ihren Prüfungen unterziehen.
Du kannst niemanden ansprechen….
Alles schläft.
Uns fallen die Hunde ein, die in unserer Kutsche saßen, von der wir nicht wußten wie sie wirklich angetrieben wird. Ein Vehikel. Aber das ist ja jetzt vorbei.
Oben einen schöne flache Weingegend in Deutschland (noch) und ein komfortabler Liebesbus, der uns in die Stadt der Liebe bringen wird.
Aber wir müssen erst diese Prüfungen bestehen.
In diesen Schacht fahren, Angstproben bestehen von wegen Fässern mit einem Totenkopf als Symbol, gelb – schwarz, notdürftig beiseite geräumt, damit die Tänzer und Tänzerinnen genügend Raum und Zeit finden für ihr und unser Vergnügen: Tanzen.
Aber sie schlafen nun auch oder entwickeln in einem Nebengang ein Konzept, wie es weitergehen wird.
Ich bin gespannt, denn auch das Theater der Worte und Gesten ist eine Option in der Dämmerung dieser Höhle, in der wir keine Schatten sehen, wenn wir nach oben schauen.
Zu tief.
Wegen des Atoms.
Hat die Atombehörde der Bundesrepublik Deutschland diese Höhle freigegeben für gruppendynamische Übungen, verpachtet an Busgesellschaften,
die den Kick suchen für ihre zahlenden Gäste.
Eine Unterbrechung, die sich sehen lassen kann.
Dann haben sie liederlich gearbeitet beim Beräumen. Oder sie sind noch mitten dabei.
Siehe der GELBE BAGGER. Die Endlagerung scheint zu klappen und über Neunutzungen kann nachgedacht werden.
Wir sind die Neunutzung. Wir – die Menschen.
Wir, die etwas erleben wollen. Hart an der Kante.
Das Schlaflied ist gesungen.
Wann werden die Richter das Signal geben und den Urteilsspruch verkünden.Wir nehmen an, sie arbeiten nicht daran, sondern schlafen den Schlaf der Gerechten.
Ungewöhnlich früh schrillen tausend Wecker und wir werden aufgerufen durch den Lagerfunk, uns in die Duschräume begleiten zu lassen, damit der Richterspruch vollzogen werden kann. Die Richter in Perücken und Roben – bis zur Unkenntlichkeit verkleidet – kommen uns gestriegelt und gebügelt entgegen auf dem Weg zu den Duschkabinen.
Ihre Mienen sagen uns nichts. Vielleicht haben sie Masken auf.
Meine Frau sagt, ich soll das Dritte Reich meiden.
Nicht schon wieder.
Auch das noch.
Aber es ist eine Geschichte. Von lange her.
Mit meiden ist da nichts.
Es ist das Quantum, sagt uns der Richter in Gera.
Extra aus Berlin gekommen. Ihr habt ja recht…
geben wir uns mühselig zufrieden, weil ja die Richter und Oberstaatsanwälte auch schlafen möchten, wie die Funktionäre in der DDR – so ein Oberkirchenrat in der Arbeitsgemeinschaft: Arbeit auf dem Lande.
„Da müssen wir quantifizieren und dürfen nicht absehen von den Volumina der Verbrechen.“
EINTAUSEND VERBRECHEN SIND SCHLIMMER ALS EIN VERBRECHEN.
Das muß Berücksichtigung finden in der Beurteilung.
„Ja, ja, ja!“ ruft der Chor.
„Aber im Ansatz ist es doch dasselbe!“, ruft der Gegenspieler.
Der Gegenspieler bin ich. Der Haarschopf auf meiner Seele wird grau und die Haare stehen zu Berge vor Grauen, was das wohl bedeuten würde.
Einen Juden umbringen ist nur kriminell und überhaupt – die Judenfrage.
Viele Juden – das ist der HOLOCAUST, die SHOA.
Mit gutem Gewissen (Pascal).
Die DDR war nur kriminell.
„Nein, nein, nein!“ rufen wir.
Was denn.
Ungewöhnlich früh schrillen tausend Wecker und rufen zum Appell. Wir schnellen auf wie gute Pioniere und rennen in die Toiletten, um uns hübsch zu machen für die Weiterfahrt.
Denn es soll ja weitergehen mit dem Bus da oben, in die Zukunft der blauen Berge und unendlich weiten französischen Felder. Wahrscheinlich läuft sich der Motor schon warm und der verantwortliche Fahrer schaut nach dem Rechten.
„Schnell, schnell!“ rufen wir uns alle zu und die Richter stehen schon in Reihe mit den Protokollen ihrer Nachtberatungen in Händen.
Frühstück ist nirgends zu sehen.Die Tänzerinnen und Tänzer werden im Morgenlicht die Klapptische aufgestellt haben vor dem Transportmittel und der Reiseleiter ist unterwegs über die Grenze, um uns einen ersten Vorgeschmack französischer Küche zu vermitteln. Wir werden in alter DDR-Manier sammeln in einer Mütze, um uns bei ihm extra zu bedanken.
Endlich sind wir alle versammelt und erwarten den Spruch.
Oben betätigt einer – von außen – die Klappe, so daß Morgensonnenlicht einfällt in das rotbraune Höhlensystem mit Baggern, Fässern, Pritschen, Decken auf dem Boden und anderem.Im Grund sehen alle ein wenig übernächtigt aus. Aber alle sagen, es war prima. Wir schauen uns an und hoffen, daß das Schauspiel in der Tiefe zu Ende ist. Eine redselige Mitfahrerin gibt uns zu verstehen, daß alles im Programm zu finden ist und nichts zufällig.
Wir haben keine Ahnung, ob sie mitbekommen hat,
daß wir kein Reiseprogramm haben können, weil wir uns gar nicht angemeldet haben zu dieser Reise, sondern, daß wir nur froh waren, nicht weiter in der Nacht zu Fuß unterwegs zu sein.Wir wissen ja bis jetzt nicht, was die Fahrerin bewogen hat anzuhalten.
Es ist jetzt an uns zu entscheiden, so zu tun als ob wir dazugehörten. Sozusagen als die Letzten der aufgelesenen Reisegruppe in den Himmel der Liebe. Andererseits wird sich doch jeder Irrtum aufklären, sobald die Unterlagen des Reiseleiters, der gleichzeitig der zweite Fahrer des Busses ist, vervollständigt werden und ein Häkchen hinter unserem vermeintlich angemeldeten Namen gemacht werden muß.
Das Problem ist nur, warum hat er uns nicht längst gefragt.Er hätte doch auf uns zukommen können und seine Fragen stellen.
Jetzt wird geläutet.
„Nummer 1 und 2“
Sie treten vor.
Der Richter in der Mitte übergibt den beiden ein Zertifikat und beglückwünscht die Reisenden zur ihrer 1.und 2. Probe „GUT bestanden“.
„Sie können schuldenfrei weiterfahren! Gratulation!“
Wir merken, es ist ein weit verzweigter Platz.
Die Klappe oben bleibt die ganze Zeit offen.
Es muss inzwischen gegen Mittag sein, fast alle Paare sind aufgerufen, nur wir noch nicht. Sie sind aus den Gängen gekommen. Alle sind numeriert für den Glücksbus. Ja, sie haben wie Nummern-Girls ihre Nummern vor sich hergetragen, kamen tänzelnd zum Teil aus ihren Unterkünften für die Nacht. Sicher haben sie so genächtigt wie wir und bestimmt haben die Tänzer und Tänzerinnen alle auch zu ihnen Texte in die Hand gedrückt bekommen, die dann zu Szenen wurden in dem Labyrinth. Allerdings wurde die Zeremonie unterbrochen durch wiederholtes Auftreten des Baggers mit dem Prediger auf der Schaufel und dem Kumpel, der uns zuwinkte.
Endlich war es so weit. Von der Kapazität der Sitzplätze her müssten wir jetzt nach vorne gerufen werden. Aber wir wurden nicht gerufen.Der Vorsitzende nahm sein Perücke ab, zog seinen Talar aus. Seine Kollegen taten es ihm gleich. Und sie brachen in ein höchst ungelenkes Gelächter aus, zogen sich zurück mit irgendwelchen Attrappen von Akten unter dem Arm.
„Dürfen wir nicht weiter mitfahren? Wenigstens bis zur nächsten Haltestelle oder zur Grenze, wo mit Sicherheit Umsteigemöglichkeit besteht für unsere Heimkehr?“ riefen wir. – Keine Antwort. Die Richter verloren sich in den Gängen. Allerdings warfen sie ihre Kostüme in hohem Bogen in irgend welche Ecken.
Der Gerichtsdiener kam auf uns zu und verkündete uns, wir benötigten kein Zertifikat.Wir wären nur Gast.
Allerdings der Gerichtsdiener begleitete uns nicht nur bis zum Fahrstuhl, sondern bis in den Bus und setzte sich neben uns, wo in der Nacht vorher der Beifahrer geschlafen hatte. Die Reisegruppe hatte schon Platz genommen.
Käthchen von Heilbronn war zu Ende.

Schlußwort – Auf ins große Vergnügen
Es wäre ja nun die Gelegenheit gewesen, mit den Reisenden ins Gespräch zu kommen. Der Tag war sonnig. Der Wind wehte sacht und erfrischend.
Wir hatten alle viel erlebt.
Es war eine erstaunlich ruhige Reisegruppe. Nur einer machte ein paar Witze über die Pariser in seiner Jugend. Er meinte Kondome und keiner lachte. Der Busfahrer machte ein paar überleitende Bemerkungen. Auch er begrüßte uns nicht als Zugestiegene.Vielleicht hat ihm sein Arbeitgeber bedeutet: nicht fragen, nichts sagen. Also lag es jetzt an uns, auszubrechen und schleunigst zu verschwinden.
Irgend etwas hielt uns fest. Wir stiegen ein, als gehörten wir dazu und studierten die Reisehefte, die verstreut in den Netzen hinter den Lehnen der Sitze lagen. Auch bei uns.
Ein letzter Blick zurück auf den Busplatz, die Chemietoiletten, in der Ferne der Schacht…
Ohne ein erklärendes Wort geht es weiter. Der Motor wird angelassen, heult kurz auf und der Bus der fröhlichen schweigenden Leute setzt sich in Bewegung Richtung Westen, wie wir annahmen. Er schwenkte auf die Autobahn ein. Der Beifahrer, jetzt vorn etabliert, macht eine Durchsage, daß wir in einer halben Stunde die Grenze passieren und wir einen Haltepunkt ansteuern, an dem wir uns die Füße vertreten könnten, einen Kaffee kaufen, von ihm selbst aufgegossen. Brötchen könnten auch geschmiert werden.
Beifall.
Endlich Frühstück.
Keine all zu lange Pause, kein Umweg, um auch noch den letzten Mitreisenden kurz vor Paris sozusagen aufzunehmen in die Gesellschaft der Liebeshungrigen.
Keine dummen Witze. Jeder war dankbar für den nun geordneten Gang der Dinge, wie man sich das vorstellt.
Es war ein schöner milder Morgen im Frühsommer.
Allerdings nach der mehr oder weniger durchwachten Nacht waren wir müde und schliefen ein. Die Sonne im Osten, im Rücken. Nichts blendete uns.Wir konnten die Gardinen zuziehen und keiner störte uns.
Tatsächlich nach einer halben Stunde hielt der Bus, knapp hinter der Grenze zu unserem großen Nachbarland im Westen. Es gab ein Restaurant, in dem man geordnet seinen menschlichen Bedürfnissen nachkommen konnte. Freundlicherweise haben wir dann noch irgend etwas gekauft.
Die Reisegruppe saß auf Findlingen, die verstreut aufgebaut waren, dort einer, dort zwei u.s.w. Alle hatten etwas vor sich: Kaffee, Brötchen oder die eigene Proviant-Tasche.
Wir kannten die Gestalten und Gesichter aus der Höhle. Es waren die Schauspielerinnen und Schauspieler, die auch die Tänzer waren; es waren die Richter ohne Roben und Perücken, nur der Baggerfahrer und der Prediger auf der Schaufel des Baggers fehlten. Sie werden ihre Arbeit weiter tun in der platonischen Höhle, ob da nun Theater gespielt wird oder nicht.
Mit oder ohne Beifall.
Allerdings der Prediger so ganz ohne Gemeinde?
Nur der Fahrer des Baggers, der die Tonnen stapelt? –
Wer hat den das Zertifikat bekommen? Die Spieler für ihr Spiel. Die Tänzer für ihren Tanz. Sollten wir etwa die Richter richten?
Das war aktive Erholung. Die Reisenden hatten zu tun.
Ich hätte dem Obersten Richter das Zertifikat verweigert, weil er im Überschwang seine Robe respektlos in die Ecke geworfen hatte.Und die anderen taten es ihm gleich. Das wirkt ansteckend auf die anderen.Sie nehmen dann ihre Rollen nicht mehr ernst.
Sie müssen durchgehalten werden bis zur letzten Sekunde.
Nein, sie waren immer beides: Spieler und Publikum, Reisepublikum. Das war der Geck.
Wenn wir auch eine Rolle gehabt hätten, würde ich sagen, WIR waren beides: Richter und Gerichtete, Tänzer und Zuschauer, Schauspieler und Textlieferanten mit ihrem einfachen normalen Alltagsleben.
Nun hatte sich alles aufgeklärt und die Fahrt konnte weitergehen.Wir stiegen ein und jeder nahm seinen Platz wieder ein. Noch wurde nicht gewechselt und da und hier ein Besuch abgestattet, um zu fragen: „Alles gut?“- oder so…..
Es gab nur noch ein Ziel. Auf große Fahrt!

Kaffee Gedicht
Komm
wir gehen in das Cafe`
wo der Kaffee noch schmeckt.
Die Zitrone noch gelb ist
ausgequetscht
in s
Stundenglas.
Die Torte vergiftet wird
von den Heinzelmännchen
die sie dann auch
selber essen.
Und nicht etwa
den Kuchen
servieren.
