Glauben und Erkennen

in der Wendezeit nach 1989

in Ostdeutschland

Margard Wohlfarth, Michael Wohlfarth, Sven Thriemer

Impressum

Michael Wohlfarth

Philipp-Jacob-Rauch-Straße 30

12559 Berlin

Umschlag epubli 2023

michael.wohlfarth@t-online. De hppts://kaparkona.bog

Inhaltsverzeichnis
Offene Kirche – Altenburger Akademie6
Suchet der Stadt Bestes51
Quellen93
Schulgeschichte76
Bilder einer Ausstellung83
Erwachsenenbildung92

Krippenspiel (Bildnachweis Glaube und Heimat, erlaubt Edgar Nönnig, Thonhausen ) 95

Das Heilige 96

Persönlicher Nachtrag 97

Topos Amthor 98

Dialog zu Heil und Unheil 103

Quellen 124

Sonntag 2.August 2015 Hans-Seidel-Stiftung

Michael Wohlfarth:„Verhältnis Staat – Kirche in der DDR.- Die Entwicklung der Kirche in den Neuen Ländern nach 25 Jahren Deutsche Einheit.

Am Beispiel der Altenburger Akademie – Offenen Kirche.

Sehr verehrte, liebe Anwesende,

als mich Thomas Luckow („Erich-Mielke-Museum“ in der Normannenstraße Berlin) anrief und fragte, ob ich mir vorstellen könne, einen Vortrag zu obigem Thema zu halten, blieb mir ein wenig der Atem im Halse stecken. So wirkt allein das Wort, der Absender „Normannenstraße“ auf mich, auf den 20 IMs angesetzt waren, nur weil ich als ganz normaler Pfarrer, Jugendpfarrer und Erwachsenenbildner meine Sache ernst genommen habe, zuerst für knapp 13 Jahre in einem Kirchspiel im Altenburger Land mit stark bäuerlicher Tradition, aber gleichzeitig voll in der sozialistischen Moderne des sowjetischen Uranabbaus stehend mit allem, was dazu gehört: Wismutschnaps, Goldgräberstimmung, zuerst (1945) mit Schießen, wenn es einer gewagt hätte, auch nur einen Klumpen von dem strahlenden Zeug über den Stacheldraht zu bugsieren.

Meine Dorf-Akten sagen aus, dass sämtliche Kirchgänger Sonntag für Sonntag notiert worden sind. – Sie sagen aus, dass meine Briefe an Gemeindeglieder zur Erinnerung an ihr Taufversprechen, die Kinder in die Christenlehre zu schicken, über den Bürgermeister zum Ministerium für Staatssicherheit (Kreisstelle Schmölln) getragen worden sind. Das alte Verhältnis Kirche und Obrigkeit wirkte in traditionsreichen Orten besonders stark nach und hat dem sozialistischen Staat geholfen, die Kirche im Blick zu behalten, dem atheistischen Staat, dessen Schwert (Martin Luther redet vom Staat auch als vom Schwert in seiner

Zwei-Reiche-Lehre) das MfS gewesen ist. Übrigens: der IS

redet auch vom Schwert. Die Salafisten vom Wort als Mittel der Mission. Das nur am Rande des zivilen Berlin. Es gab Menschen in der DDR, die glaubten, Amtsträger der Kirche würden – wie übrigens auch in der Tschechoslowakei geschehen – vom Staat bezahlt. Da hätte man sie noch mehr unter einer viel natürlicheren Kontrolle gehabt als so: un- heimlich durch die Staatssicherheit.

Also, nachdem ich den Kloß im Hals heruntergeschluckt hatte, habe ich gerne JA gesagt und will versuchen am Beispiel Thüringen/Altenburg-Altenburger Land, 50 km von Leipzig entfernt und 40 km von Gera und Zwickau entfernt, etwas Vernünftiges zum Thema zu sagen.

1.

Erst einmal muss gesagt werden, dass der verlorene Kalte Krieg ein verlorener Religionskrieg für viele Menschen gewesen ist, die ehrlich an den Sozialismus geglaubt haben. Der Sozialismus – oder richtiger der KOMMUNISMUS – hatte nicht nur religiöse Affekte, nein, er war Religionsersatz für viele Menschen.

Deshalb musste es auch ( u.a.) gar kein Verhältnis von Staat und Religion in der Deutschen Demokratischen Republik geben, weil Religion und Staat eins waren.

JEDENFALLS DIE STAATSRELIGION.

Die Trennung von Staat und Religion gab es nicht. Der Sozialismus war die Religion.

Die DDR war ein Weltanschauungsstaat (Heinrich Fink). Der Sozialismus war die Neue Religion.

Der Kommunismus die Lehre vom Neuen Menschen.

In der Tradition der Missionsgeschichte gesprochen heißt das, w i r waren die Anbeter der Teufel, der a l t e n (bösen) Götter und Geister. Etwas gelinder ausgedrückt, die Märchenerzähler, Verdummer, die

Blöden, mit weniger Gehirnzellen im Kopf als die vom Wissenschaftlichen Kommunismus (WIKO) Geprägten (Kindergartenausbildung Leipzig). Die ewig Gestrigen! (S. dazu besonders rumänische Zeugnisse von Seelsorgern und Geistlichen.)

2.

Dass die Wirklichkeit etwas ganz anderes war, war eine ganz andere Sache.

Kirchenpolitik war eine Sache von leninscher Strategie und Taktik, wenn es sie gab.

Dass insbesondere nach dem Tod von Walter Ulbricht die Taktik sich verselbständigte und die 2. und 3. Generation in den kommunistischen Familien sich begann einzurichten – eigentlich mit dem ganzen DDR-Volk – um das Leben zu genießen, ist praktisch ein Stück Kenntnisnahme dieser Realität.

Dazu gehört auch das Praktizieren des Intershop, Flüchtlingsverkauf für Devisen,Gespräche Mitte der 70-iger Jahre zwischen Erich Honecker und den Bischöfen der evangelischen Landeskirchen.

Aus dem Sozialismus/Kommunismus/Stalinismus wurde der so genannte real existierende Sozialismus mit all seinen Lebenslügen, die sich nun umgekehrt im ideellen Horizont bemerkbar machten, sozusagen vor der Folie des verlorengegangen Traums einer Welt ohne Geld, Soll und Haben, die im Sozialismus der DDR eben auch nicht funktionierte bei aller deutschen Gründlichkeit.

Daran ist er schließlich zugrunde gegangen. Schade, sagen manche.

Gut so, sagen andere, die wissen, daß nun die Offenbarung des Menschen beginnt (ungarische Pfarrersfrau), vor dessen Größe und Niedrigkeit nicht ein Pseudoglaube, sondern der bis dahin als Aberglaube abgetane christliche Glaube

meines Vaters und meiner Mutter schützen, und der – gleichzeitig – wie Kain geschützt wird in der Hoffnung der Vergebung und der Liebe zu Gott und dem Nächsten.

„Die heute Lebenden wissen nicht mehr, dass ihre Eltern und Großeltern Gott verloren bzw. vergessen haben“ – so Bischof Noack zur Situation nach 1989 in der ehemals besetzten Zone durch die Sowjetunion/später seit 1949 DDR. Es ist die Aufgabe der Kirche heute, diese Hoffnung wiederzufinden mit denen, die sie verloren oder vergessen haben.Es ist eine seelsorgerlich-missionarische Arbeit, die da auf die Kirche im Osten wartet: 60 Jahre Gottlosigkeit, Gottvergessenheit, Gottverlorenheit: erst Hitler und dann übergangslos das Spiegelbild der 1. deutschen Diktatur strukturell in der 2. deutschen Diktatur nicht national- sozialistisch, sondern international kommunistisch mit dem Machtfaktor pax sowietica. Der Sozialismus in der DDR ist nicht durch eine Revolution eingeführt worden, wie in Russland oder Kuba, sondern die „Speerspitze der Revolution“ ist durch den Sieg der Roten Armee über Hitlerdeutschland über Ungarn, Polen, Tschechoslowakei nach Thüringen, Sachsen, Brandenburg, Mecklenburg- Vorpommern, Berlin, Sachsen-Anhalt gekommen, – wie Wladimir Iljitsch Lenin es vorausgesagt hatte.

Sie können sich vorstellen, was zusammenbricht, wenn diese pax sowjetica in sich zusammenbricht (Putin:größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts). Eine gesellschaftliche Depression ohnegleichen, ein unglaublicher Vertrauensverlust. Das war der Zustand dieses Zusammenbruchs nach 1989 im gesamten Ostblock.

Allerdings in Ostdeutschland mit einer Besonderheit. Wir waren keine Nation, die das zu bewältigen hatte, sondern eine Viertelnation.

Die Bürgerrechtsbewegungen in den national- kommunistischen Ländern in der pax sowjetica waren

g a n z, e r w a c h s e n und ließen sich nicht teilen in solche, die bleiben und solche, die gehen oder abgekauft/verkauft werden.

Das wurde von den Polen um Solidarnosc moniert, von den Tschechen um Vaclav Havel herum. Die Schicksalsgemeinschaft in Deutschland war gespalten.

Übrigens, erst als die PDS in einem quälenden Prozess nach Jahren JA sagte zur Wiedervereinigung, konnte sich Deutschland anfangen wirklich wieder zu vereinigen.

3.

Die nationale Frage war Walter Ulbricht bewusst, auch Erich Honecker.

Als Erich Honecker wegen seiner Haft im Zuchthaus Brandenburg befragt wurde von Pionieren und FDJ lern im Blauhemd und roten Halstüchern, woher er die Kraft zum Durchhalten bekommen hat, hat er geantwortet: “Aus der Liebe zu meinem deutschen Vaterland.“ Eine bemerkenswerte Antwort vor dem Hintergrund heutiger Verächtlichmachung aller auch nur annähernd natürlicher nationaler Gefühle.

Sogar Herr Lucke hat scheinbar damit Probleme. In der Schule /12.Klasse habe ich das so erklärt:

NATUS – woher das Wort Nation sich herleitet, heißt nicht mehr und nicht weniger als GEBORENSEIN. Das SOZIALE – das ist der Nächste. Daraus ergibt sich manchmal eine Spannung.

Es muss aber eine Spannung bleiben um Gottes und der Welt willen und darf nicht national-sozialistisch kollaborieren, eine Versuchung, die ja nicht nur in Europa zur Katastrophe geführt hat.

4.

Aber jetzt in dem Dilemma Wiedervereinigung ist es wichtig, “dass Ihr euch wiederfindet und Eure Identität und Geschichte!“, so mein Freund und Religions-Gelehrter Yuval Lapide neulich in der Urania in Berlin, sein Großvater mütterlicherseits Franke und im 1. Weltkrieg ausgezeichnet mit dem eisernen Kreuz. Natürlich bedeutet Nation, wenn sie wieder

eine werden möchte , erst zwei verschiedene Schicksale, die aber im Zurückliegen ein Schicksal k e n n t, Geschichte, der sie nicht hilflos ausgeliefert sein muss in der Götzenverehrung von Volk und Vaterland, Familie und Heldenverehrung.

5.

Hier ist Kirche gefragt, jede confessio, jedes Bekenntnis. Hier ist inzwischen der Islam in Deutschland gefragt und die Jüdische Community, die mir ebenfalls schon Antworten gegeben hat. Z.B., dass sie wiederkommen, die Jungen Frommen in die Anklamer/Brunnenstraße Berlin, an der ehemaligen Mauer, wo ich und meine Familie Jahre des Studiums zugebracht haben in der Stille der tödlich bewachten Demarkationslinie und ihren Explosionen.Ich sehe das als Verheißung, seitdem die Goldkuppel der Großen Synagoge in der Oranienburger Straße leuchtet. Ich sehe das als Aufforderung zu Normalität, wenn Israelis dort einen Campus gründen, Geschäfte aufmachen, jüdischen Glauben praktizieren, beruflich Hochtechnologien installieren. Nur sie können uns sagen: Betet einen regelmäßigen Bußpsalm in euren Gottesdiensten, wir werden ein regelmäßiges Klagelied wie Jeremia in unsere Liturgien einbringen. Ich sehe vor

diesem Hintergrund die Vergebungsgeste einer KZ-Insassin gegenüber ihrem inzwischen über 90-jährigen Peiniger und Aufseher im letzten deutschen KZ – Prozess.

Jüdisches Leben in Deutschland bedeutet deutsches Leben in der Vergebung.

Natürlich dürfen wir so JA sagen zu Familie, weil wir die familia dei, die Familie Gottes sind. Natürlich dürfen wir JA sagen zu VOLK, weil wir als Christen und Juden Volk Gottes sind, das durch alle Wüsten und blühende Landschaften geleitet wird von einem gnädigen Gott. Für Christen: Ein Gott,der in Jesus Christus versöhnt.

Unterschied zwischen Juden und Christen? Der Messias kommt wieder, der Messias kommt. (Jüdisches Zitat).

S. dazu auch Rede des Vorsitzenden der CDU – CSU Fraktion im Deutschen Bundestag Kauder am 20.5.15 während des Kongresses „Ist Jüdisches Leben in Deutschland gefährdet?“

In einem interreligiösen Dialog Christen – Muslime – Juden müsste das d a s Thema in Deutschland sein, das um seine Einheit ringt oder sie als Geschenk annimmt. Und es m u s s ein religiöser Dialog werden, nicht nur ein politischer etwa, denn „Theologie ist subtil“(Bertolt Brecht).

“Und die Kirchen kennen den Jahrtausend – Schritt“ (Bertolt Brecht).

Weil die Themen subtil sind und nicht oberflächlich, vordergründig verhandelbar, sind die Religionsgemeinschaften gefragt, womit wir beim Thema dieser Veranstaltung sind, warum Religion überhaupt vorkommt in einer Rücksicht: 25 Jahre Deutsche Einheit.

4.Zum Staat-Kirche-Verhältnis.

Dieses wurde in der DDR repräsentiert von einem Staatssekretär für Kirchenfragen, der Bekannteste war der Vater von Gregor Gysi. Ein Staatssekretär für

Kirchenfragen ist von Anfang an geschuldet der Tatsache, dass die angestrebte Religionslosigkeit nicht von heute auf morgen zu bewerkstelligen war, sondern eine Sache für Generationen, sowohl im aktivischen wie auch passiven Sinn.(s.o.) Durch die Offene Grenze bis zum 13. August 1961 und die kirchenrechtliche Zuständigkeit der EKD im ganzen Nachkriegsdeutschland („mit meinem Gott will ich über die Mauer springen“ – Berliner Bischof – und „die Verbotsschilder auf den Straßen der DDR sind letztendlich nicht gültig, weil sie von einer Diktatur aufgestellt worden sind“– Dibelius) war das Verhältnis spannungsvoll bis aggressiv.

Ehemalige FDJ l er des Anfangs, die als Christen ehrlich mitarbeiten wollten, sind „aus dem Boot gekippt worden“, als man sie nicht mehr brauchte, den Bauern wurde ihr Land weggenommen und damit Deutschland im Osten radikal verändert – bis heute!!! Amerikanische sprich sowjetische Großraumwirtschaft war angesagt. Den Jungen Gemeinden wurde vorgeworfen, sie sabotieren den Staat und seien Handlanger des westdeutschen Imperialismus.

Kinder durften nicht Abitur machen – ich gehöre dazu – weil sie die falschen Eltern hatten.Entweder hatten diese die falschen Berufe (z.B. Pfarrer, Kleinunternehmer, Besitzer jedweder Couleur) oder schlichter: sie entzogen sich dem Jugendweihediktat des Weltanschauungsstaates DDR.

Von der Nichtmitgliedschaft in einer sozialistischen Massenorganisation ganz zu schweigen: Pioniere, FDJ, DSF.

Studium?

Auf Schleichwegen gelang es uns, mit der biblischen Klugheit der Schlange und der biblischen Sanftmut der Taube doch noch irgendwie mit Sonderreifeprüfungen und Abendschulungen in eine akademische Laufbahn zu geraten,

die aber nie auf dem höchsten gesellschaftlichen Treppchen enden konnte, sondern höchsten über LDPD, CDU, NDPD auf einem darunter liegenden – olympisch gesprochen.

Der beste Weg für die Karriere: SED-Mitgliedschaft. Der beste Weg nicht in die SED gepresst zu werden – wie meine Wismutkumpel – Freunde – war zu sagen „Ich bete jeden Abend!“.

Selbst reaktionäre Pastoren haben dann aber noch zur Absicherung zum Eintritt in die CDU geraten. “Als sanftes Ruhekissen!“ (Pfr. Jencio, einer meiner Nachbarpfarrer, selbst CDU- Mitglied.)

Hier möchte ich einmal der Schelte der für manchen überlebenswichtig gewordenen Blockparteien etwas entgegenhalten. Ungarische Pastoren waren z.B.neidisch auf die CDU-Möglichkeit für Christen. Im Baltikum und in Prag durfte kein Weihnachtsbaum öffentlich aufgestellt werden und kein Weihnachtsoratorium erklingen!

Etwas weiter zurückblickend: In russischen Oktober- Revolutionszeiten durften nicht nur die orthodoxen Popen erst ihre Gräber ausheben…und dann…???!!!

Das haben uns Baltikums – Flüchtlinge erzählt, Pfarrerskinder. Für diese Popen und lutherischen Pastoren singe ich heute an dieser Stelle auch mein Lied und bin dafür dankbar, dass ich es singen darf.

Und dass es jemand hört.

5.

Die Seelsorge in den Dörfern der 70iger und 80iger Jahren, also meiner DDR-Zeit, führte den Bürgermeister mit seinen STASI-Verpflichtungen und den Popen (sowjetisch gesprochen) zusammen. “Ja spraschiwaju po russki“. – Ich frage auf russisch.

So zusammen, dass der Spitzel zum Pfarrer sagt: “Wenn ich in

der Nähe bin, redest du bitte nichts Politisches! Verstanden!?“ Okay!

Das war dann schon mehr italienisch: Don Camillo und Peppone: wenig Bürokratie, aber nachts kann es klingeln und der Parteisekretär steht in der Tür und bittet darum, dass sein Kind getauft wird.

Jetzt.

Allerdings – meine Eltern hatten zu Zeiten Ulbrichts Angst, wenn sie nachts Schritte ums Haus hörten.

„Abholen!“ – Ein schreckliches Wort, dass mir ins Bewusstsein kam, als ich das erste mal in meinem Leben wegen eines Luthervortrages in Bremen im Interzonenzug von Berlin nach Bremen saß und – endlich – in der BRD weiterfuhr. Es war wie ein Schiffshebewerk.

Sie kennen diese Grenzgeschichten auch?

“Zeige mir Deine Grenze, und ich sage dir in welchem Land du lebst!“, erzählte mir der finnische Konsul in München, der gleichzeitig Pfarrer der finnischen Gemeinde dort war .“Schlimmer als im Irak“, sagte er. – Damals schon berüchtigt: Sadam Hussein.

Sie kennen diese Grenzgeschichten?

Wenn Ihnen gestandene Westfrauen als Verwandte bei einer Hochzeit a n v e r t r a u t e n, w i e s i e u n t e r s u c h t

w o r d e n w a r e n an der Grenze von Bayern zu Thüringen. Ich möchte Ihnen Einzelheiten ersparen. Es war wie eine Beichte.

Sie haben sich geschämt. Für sich und für die anderen.

Ich weiß von jungen dynamischen linken West-Besuchern und Besucherinnen, wie sie gezittert haben in Jena, wenn sie plötzlich m u t t e r-s e e l e n-a l l e i n an einer Bushaltestelle standen – und es kam kein Bus. Es muss über sie hereingebrochen sein.

Oder sie eilend ihren Eltern mitteilten, sie möchten

zurück nach DEUTSCHLAND. Das hat uns – besonders meine Frau – verletzt.

Wir waren doch auch Deutschland!

Oder nicht? Wir waren sogar Europa? Oder nicht? 6.

Der Lackmustest noch heute ist die Jugendweihe.

Die Jugendweihe ist der eigentliche kulturelle Unterschied zwischen „beiden deutschen Gesellschaften“ – auch heute noch. Nichts macht die kulturelle Differenz so deutlich. Es gibt sie also noch, die beiden Gesellschaften. Die DDR ist noch anwesend und heißt heute postsozialistische Jugendweihe-Gesellschaft.

Bestimmte Kreise möchten das aufheben und es verbinden sich ganz besondere Elemente in dem Reagenzglas Deutsche Wiedervereinigung.

Politische Einheit ist etwas – sowjetische Truppen `raus

u.s.w. Gesellschaftliche Einheit? Sie gibt es nicht. Kaum gibt es eine kirchliche Einheit. Freiraum für Fragen.Wir haben zu allem ein schönes Wort erfunden: Die Sozialisation. Der fade Beigeschmack bleibt trotz aller Soziologie und trotz aller Psychologie und vor allen Dingen trotz aller Phänomenologie und des Positivismus als einem Grundübel, wenn man eine Diktatur mit dieser Philosophie beurteilen will.

Das ist die CRUX.

Ein Gräuel in unseren Augen: formal-juristisch.

Keine Aufarbeitungs – Möglichkeit in einem rechtlichen Sinn! Der ja auch ein moralischer Sinn wäre. Wir streichen die Moral – und wir sind zu nichts mehr verpflichtet und können unseren eigenen Monologen begeistert lauschen und die Atomisierung der Gesellschaft hinnehmen als einen Beleg für die Richtigkeit unserer grundfalschen Ansichten.

Bitte ja nicht beim PREDIGEN so!

Siehe „Predigen auf dem Markt – Verkündigung in der postsozialistischen Jugendweihe-Gesellschaft“(Ein Kolumnen- Report, gedruckte erste Aufsätze in Sachen Religion

7.

Ein Wort zu Sören Kierkegaard – übersetzt Kirchengarten. Also Friedhof.

Es erschüttert mich, dass die Kirche Kierkegaards in Kopenhagen als Café dient und es fällt mir ein, was er zu Luther gesagt hat und dessen historisch bedingter Polemik gegen das Mönchtum.

Gerade weil er mir geholfen hat die paradoxe Situation in Deutschland nach 89 eben als Paradoxum zu begreifen.

Und deshalb auch anzunehmen mit Gottes Hilfe und dem Glauben meiner Eltern und Großeltern sukzessive.

Weil das Paradox eine Kategorie des Glaubens ist: ALLES WIRD GUT! Weil Christus auferstanden ist! WOSKRESSENIE – Auferstehung gleich Sonntag im Russischen.

Und: Die Sonne geht im Osten auf. EX ORIENTE LUX. XRESTOS EX ORIENTE.

Im Westen geht sie unter: Christliches Abendland? Warum ist es so schlimm, Abendland zu sagen? – Man überlässt es damit PEGIDA?

Auf dem ATHOS haben sich diese Wahrheiten bestätigt. Auf einer Geburtstagsfeier in Altenburg/Thüringen fragen mich Menschen, die nicht konfessionell gebunden sind, warum die evangelische Kirche ihre Stellenpläne nach Gemeindegliederzahlen ausrichtet und nicht nach Einwohnerzahlen. Ist das Evangelium nicht für alle da? – Mission?

Frage danach von Nichtkirchenmitgliedern! Wollen Sie missioniert werden? Eine Schriftstellerfreundin aus Frankfurt am Main stellt mir dieselben Fragen im Zusammenhang mit der PEGIDA-Bewegung.Warum stellt Ihr Euch nicht an die Spitze der Bewegung und bringt den Leuten bei, was christliches Abendland bedeutet nach totaler Entchristlichung, Entkirchlichung, geistiger Betonierung, stalinistischen Verbrechen?

Ein Freund antwortet auf diese Fragen: Weil die Gehälter so hoch sind und es eine Anstellung auf Lebenszeit ist, können mehr PfarrerInnen nicht angestellt werden, die vielleicht in ein paar Jahren nicht mehr gebraucht werden.

Aha, das Beamtenrecht.

Sind Beamte nicht mehr verfügbar in großer Not, frage ich zurück. Das ist doch der Sinn des Beamtentums – der königlichen Beamten – auch des Neuen Testamentes, die Verfügbarkeit …

Ein junger Pfarrer sagte mir 1983 in Bremen zu Luthers

500. Geburtstag, zu euch kann ich nicht kommen, das reicht nicht einmal für die Versicherungen….

Erich Löst+ (Leipziger geblieben bzw. wieder geworden nach dem Herbst 89 in Sachsen) gibt resigniert auf, weil –

Originalton -: “. die Kirchen so schwach sind. Ich wusste es nicht!“

“Wissen Sie es?“

Kein Wunder, wenn andere das Vakuum füllen. Selbst Salafisten sind möglich.

NPD-vor allen Dingen als ideologische Projektion-halte ich mehr oder weniger für überinterpretiert.

Die Kirche macht sich schuldig, wenn sie ihrem missionarischen Auftrag nicht unverschämterweise gerecht wird (Missionssynode EKD in den 90er Jahren in Leipzig). Wir machen uns schuldig, wenn wir solche Synoden gut und richtig finden – und dann?

Natürlich steckt auch hier der Teufel im Detail.Und nicht in der PDS oder in der Linken. Nicht einmal in Thüringen.

8.

Was war die Kirche in der DDR?

Nach meiner ersten Westreise für ökumenische Leitungskader nach Bremen anlässlich des schon erwähnten Lutherjubläums (1483-1983) frage ich meinen Freund Michael Damm (mein späterer Nachfolger in der Jugendarbeit im Kirchenkreis Schmölln):“Was ist die Kirche hier bei uns?“ Schweigen.Dann:Halb Untergrund. Aha – wieder halb.

Zu Recht und Unrecht.

Nicht öffentlicher Raum, weil keine Körperschaft Öffentlichen Rechtes, jedenfalls nicht vom Staat aus gesehen, weil es das gar nicht gab, nur in den Köpfen der Kirchenfunktionäre im Westen, weil es das dort gab – aber doch nicht hier. Karnickelzüchterverein?- so in etwa? So ähnlich. Obwohl es nicht einmal Vereine gab. Nur einen: den Karnevalsverein in Wasungen.

Kirchensteuer gab es auch nicht.

Sie hieß so, weil sie „früher“ so hieß. Es war Kirchengeld, das eingesammelt wurde in mühevoller Kleinarbeit. In Sachsen musste das der Pfarrer selber tun, sein Gehalt war darin strukturiert.Wenn er es nicht tat, gab es keinen neuen Teppich, den sich seine Frau so sehr wünschte.

Das Wort Pfarrerschaft war verboten.

Wenn ein Pfarrer, es war mein Vorgänger in Thonhausen- Mannichswalde – Schönhaide – Wettelswalde in der Evang.-Luth. Kirche in Thüringen, eine Anzeige in die Lokalpresse geben wollte, etwa einen Sterbefall – und die Pfarrerschaft wollte ihre Anteilnahme zum Ausdruck bringen etwa wegen eines Amts-Bruders: n j e t – den Ausdruck nehmen Sie zurück.Es gab ja auch offiziell

keine geschnitzten Engel im Erzgebirge, sondern Jahresendflügelfiguren. An was erinnert mich das bloß?…Sprachregelungen. Sozialistische Correctness.

9.

Das Verhältnis zwischen Staat und Kirche war ein diplomatisches, kein freundschaftliches oder gar freundliches, dass auf Entgegenkommen basierte.

Es war so: Auf einem kirchlichen Friedhof – kirchliche Friedhöfe, die gab es – ein Johannesfeuer in einem sächsischen Nachbardorf. Der Schussel von Ortspfarrer vergisst einen Eimer voll Wasser darüber zu gießen und es glimmt noch am nächsten Morgen. Meldung an Bürgermeister, der weiter an Polizei, Stasi u.s.w., egal. Keiner traut sich das diplomatische Verhältnis infrage zu stellen. Eine Ebene höher (Kreis), – die auch nicht, also Bezirk Karl-Marx-Stadt. Die sagen: glimmen lassen. In der Asche verlaufen lassen… So war das. Gut für` s sozialistische Kabarett.

10

Sachsen ist ein Sonderfall.

Die sächsische lutherische Kirche hat nie akzeptiert, daß die Jugendweihe gar nicht so schlimm sei und man ja bitte- schön eigentlich am selben Sonntag beides machen könne: Jugendweihe u n d Konfirmation. Ich übertreibe im Wesentlichen n i c h t!

Es gab ein Strafjahr dazwischen. Zwischen dem Jugendweihejahr und dem Konfirmationsjahr. In der Zwischenzeit musste der Konfirmand, die Konfirmandin die Junge Gemeinde besuchen. Mein sächsischer Dorf- Bürgermeister (politisch war der Ort bezüglich des R a j o n (russisch) – d.i.Bezirk – Karl-Marx-Stadt, kirchlich Eisenach –

Thüringische Kirche) war heilfroh, dass ich ein liberaler thüringischer Pfarrer war und nicht solch ein orthodox- lutherischer Sachse, wie ihn seine sächsischen Bürgermeister- Kollegen kannten. Ich hatte da ziemlich einfaches Spiel.

Trotzdem war ich heilfroh, gerade noch rechtzeitig ein Jahr vor der so genannten Wende 89 – d.i. griechisch: Katastrophe – zurück übersetzt – in meine zweite Pfarrstelle gekommen zu sein wegen eines Berufsverbotes meiner Frau (s. a. verbeamtete Kommunisten in der Adenauerzeit). Ich konnte mir alle Klarnamen holen von einigen, die

„berichtet“ haben (IM). Es war viel einfacher, etwas weiter weg die Sache mit der STASI im Dorf zu verkraften.

In der neuen Stelle in der Stadt Altenburg ging mich das Ganze nicht so viel an, obwohl – in dem einen Jahr bis 1989 gab es auch 500 Seiten wegen Gründung einer Akademie und dem Beginn der Offenen Kirchenarbeit. Der Hauptspitzel hier war gleichzeitig der Staatssekretär (Referent) für Kirchenfragen auf Kreisebene , der einen jedes Jahr einmal besuchte mit einer Flasche Wein in der Hand.

11.

Schlimm-und das ist der Untergang des Systems – wir haben keine Angst mehr.Ich war geschult im WIKO(Wissenschaftlicher Kommunismus) an einer Staatlichen Universität.

In meinem Fall auch noch in der Hauptstadt.

Diesen Sachverhalt konnten und wollten oder durften die Kommunisten im geteilten Bildungsdeutschland nicht abschaffen, evangelische Theologie zu studieren an einer sozialistischen Hochschule mit Abschluss – Diplom.

Nicht in 40 Jahren.

Die Tochter von Ruge schreibt aus Moskau in ihrem Buch NADESCHDA (Hoffnung): “Und sie sahen sich tief in ihre

blauen Augen die Büroangestellten in Moskau – und jeder wusste, es ist bald vorbei“. So ging es auch uns. Intershop, Halbnackte Girls auf Schauwagen bei Mai – und anderen Demonstrationen. „Honni“, zärtlicher Ausdruck der

„Arbeiterklasse“ für Erich Honecker, hin und hergerissen zwischen Arbeiterliedern und der neuen Freizügigkeit. Er wollte doch auch nur, dass alle glücklich seien. Wie jeder Diktator das will.Wenn er nur labil und senil genug wird im Älterwerden. Mielkes Ausruf 1990 in der demokratischen Volkskammer ist ja bekannt: „Ich liebe euch alle“.

12.

Inzwischen bin ich auch ein bisschen älter und er/sie tun mir auch alle ein bisschen leid.

Übrigens bin ich bewusst auf eine sozialistische Universität gegangen (mit Sonderreifeprüfung in Germanistik und Geschichte) und nicht in eine Kirchliche Hochschule. Ich war Pioniermitglied und auslaufendes Modell à la FDJ, bis keiner mehr gefragt hat und etwas bezahlt haben wollte. Ich habe den Wehrdienst nicht verweigert aber war – auch deswegen – begeisterter Besucher des Königswalder Friedensseminars bei Werdau, gegründet von den ersten Bausoldaten in der DDR aus Sachsen. Hier wurde nicht abgehört, weil die Veranstaltung – wieder KIERKEGAARD („…ein Christ ist ein SPION GOTTES…“) – auf dem Kirchlichen Friedhof stattfand und Kaffee anschließend in der Kirche getrunken wurde. Dieses laufende Seminar und seine Philosophie/Theologie tragen mich bis heute.

13.

Wir haben keine Angst mehr und sagen in’s Telefon:

“Euch schneiden sie auch noch einmal die Ohren ab“.Ist ja fast IS, wenn ich das mit westlicher Zivilgesellschaft vergleiche.

Angst habe ich nachträglich bekommen beim Lesen der STASI-Akten: Lutherreise Bremen. Da haben sie mich abgehört bei einer guten Freundin in Frankfurt am Main, früh um 5 Uhr nach einer Nachtzugreise (schwarz nach DDR- Recht) von Bremen nach Frankfurt.

Richt-Peil-Mikrophon.

Die STASI war und ist nicht auf ein Territorium beschränkt und auch nicht in einem Zeitfenster unterzubringen, sie ist global in Raum und Zeit.

Die einzigen, die mit mir über die Grenze fuhren, waren Rentner, Sportler und STASI- Angehörige. Und einige Gemeindeglieder in der lutherischen Randgemeinde in Bremen hatten auch mir gegenüber den Verdacht…Das ist die Logik dieser Teufelei. Bis heute!

Angst nach der Wende, obwohl alles vorbei war?- Ja, als wir das in den Akten fanden in der Runden

Ecke in Leipzig, meine Frau und ich. Nichts ist vorbei. Nirgendwo bist du sicher.

Grenzerfahrung ist Gotteserfahrung.

Da kann ich nur Literatur daraus machen, denn eine saubere juristische Aufarbeitung gibt es leider nicht. Schade.

Das ist in Polen anders.

Da sitzt der Staatsanwalt mit in den Aufarbeitungsetagen. Ein Freund unserer Altenburger Akademie hat uns dort eingeführt – in meinem Geburtsort Landsberg an der Warthe. Jetzt Bischofsstadt GORZOW.

Der deutsche Rechtsstaat hat versagt am Unrecht des totalen Staates DDR, – auch ein deutscher Staat. Vielleicht deswegen…

Walter Schilling durfte im Westen Theologie studieren. Sein Vater, konservativer Superintendent in Sonneberg. Er kam zurück in die DDR mit Scheitel, gut angezogen. Kümmerte

sich dann mit langen Haaren und ewigen Niethosen um straf gefangene Jugendliche, die mit dem DDR-Gesetz in Konflikt geraten waren. Er war der einzige Pfarrer, des es bis in die Open-Air- Ausstellung auf dem Alexanderplatz

in Berlin geschafft hatte (2 Jahre lang, ich habe sie noch gesehen).

Nicht geschieden. Leider gestorben vor zwei Jahren.

Er sagte: Der Westen schiebt immerzu die Verbrechen der Nazis vor , um nicht über die Verbrechen der DDR reden zu müssen. Die bundesdeutsche Volkskirche hat versagt am Volk der DDR. Die DDR- Oberen in der Kirche: WIR – waren zu schwach, um Sonderregelungen für das Gebiet der ehemaligen DDR durchzusetzen. Z.B. ein anderes Muster für die Anstellung von Geistlichen.

Wir haben in Leipzig auf dem Ring gerufen: WIR SIND DAS VOLK. Hat das niemand gehört?

Wo ist unsere Volkskirche? 14.

WIR SIND MISSIONSGEBIET. Der Feind war nicht mehr zu sehen. Es gab keine Feind-Seligkeiten mehr. Das Feindbild war im Schwinden. Ja, wir hatten die Theologie der Nachfolge.

Wir haben ernst genommen: “Wenn sie euch auf eure Rathäuser führen, habt keine Angst. Der Heilige Geist wird euch sagen, was ihr zu sagen habt.

Jedes einzelne Wort.“ (Sog.kleine Aussendung der Jünger Jesu bei Matthäus.) Aber wir hatten auch die Theologie der Ideologie und die Ideologie der Theologie. Ja – und wir hatten den Kulturschock, Grenzerfahrungen, Zeitmauern.

Und Grenzerfahrung als Gotteserfahrung.

Jetzt war die Welt keine Scheibe mehr, sondern eine Kugel, man konnte herunterrutschen, wenn man nicht aufpasste.

Viele konnten das.

Vor 1989 haben wir auf dem Land Ostermärsche organisiert und haben uns diebisch gefreut, wenn der STASI-Mann in der Kirche mit lauschte – ohnmächtig schon damals…

Ich habe ihn nach vorne gebeten als Kreisjugendpfarrer in der Dorfkirche zu Nischwitz, damit er besser hören konnte. Wie die Großmutter mit zu großen Ohren, die in Wirklichkeit ein Wolf war.

Nach unserem 30 km-Umzug von Thonhausen nach Altenburg, Residenz- und Theaterstadt in Ostthüringen, im Mai 1988 haben wir sofort in der Stadt Altenburg die Kirche aufgemacht, fast Tag und Nacht, damit die Leute einen Ort des Gebetes und der Besinnung haben. Die Offene Kirche war das Kontinuum zwischen alt und neu. Sozialismus und Kapitalismus. Immer in großer Not wurden die Kirchen aufgemacht. Das war in den Kriegen so und auch in dieser spannungsvollen Zeit, in der KRISIS, der Zeit der Entscheidungen, als die Polen gekommen sind und uns ausgelacht haben wegen unserer Feigheit.

In der Zeit der deutschen Friedhofs-Stille, als wir in der Sowjetunion waren und kurz darauf in Ungarn. Als wir in der SU gelernt haben, wirklich keine Angst mehr zu haben und die DDR-Grenztruppen uns ausgelacht haben, weil wir treu und brav im Sommer 1989 aus Ungarn zurückgekommen sind über das Erzgebirge mit dem ganzen Altenburger Posaunenchor.

Endlich, endlich ging es los – und weiter, richtig weiter.

Wir sind am 9. Oktober zu den scharfen Hunden gegangen nahe der Oper am Karl-Marx-Platz und haben mit den Kampfgruppen geredet. Sie erinnert, dass es ihre Söhne und Töchter sein könnten…

Eine Pfarrersfrau aus Schwaben wusste nicht, was sie in Leipzig erwartet und musste wieder nach Hause. Sie konnte es sich nicht vorstellen, wie viele andere sicher auch.

Es fiel kein Schuss.

Das Wunder von Leipzig.

Die DDR hatte die Midlife – Crisis nicht überlebt.

Oder: Wie um das biblische Jericho. Dann fielen die Mauern. Gospels…Als Israel in Ägypten war…

Der 9. Oktober war der Stichtag.

Neulich sind wir den Ring entlang gelaufen. Am 9. Oktober 2014. Zum 10. Jahrestag 1999 gab es noch das Telefon am Ring (Post – jetzt zugehängt wegen Renovierung).

Ich rufe 03447 4336 an. Es meldet sich meine Frau in Altenburg “Es wird nicht geschossen!“Sie hat verstanden. Wörtlich damals punkt 18.36 Uhr.

Wir hatten Angst um unseren Sohn, der damals ein Praktikum bei einer CDU- Zeitung machte.

Er hat dann auch die Idee einer Litfaßsäule mit nach Altenburg gebracht, das Symbol für die Wende in Altenburg.

15.

Offene Kirche – Brüderkirche – Altenburger Akademie

Margard Wohlfarth (Staatssekretärin für Familie, Frauen, Jugend) hat die ABM-Idee mit aus Berlin gebracht.Wir stellen Heere von ABMs auf: Damit die Kirchen offen sein können. Bildungsarbeit passiert, damit Schulunterricht bis zu 15 Stunden in der Woche gegeben werden kann.

Konfirmandenunterricht.Teamarbeit möglich wird.Jugendarbeit.Erwachsenenbildungsreisen nach Israel, Österreich,Irland, Westdeutschland.

Hilfstransporte nach Rumänien. Gremienarbeit, damit Kirchentage vorbereitet werden können. Friedhöfe aufgeräumt werden. Formulare ausgefüllt und verzehnfachte Büroarbeit getan wird. Aber v o r allen Dingen Raum bleibt und wird für SEELSORGE.

Nie werde ich nach 1989 den Polen vergessen, den wir eingeschlossen haben, weil niemand nach vorne geschaut hat… wo ein Mann auf Knien lag und betete…

Wir haben eine riesige Gebetswand aufgestellt und ein Nagelkreuz, Holz ehemalige Eisenbahnschwellen, die Nägel vollgestochen mit Zetteln, auf denen Gebete

standen, die wir in der Osternacht dem Osterfeuer übergeben haben: Gott, dem Gekreuzigten und Auferstandenen.

Was habe ich gelernt dabei?

Dass die Kirche oft Antworten gibt auf Fragen, die niemand gestellt hat.

Die wirklichen Fragen hingen an der Wand und am Kreuz Christi.

Tod, Liebe, Frieden, Krieg, Gesundheit, Arbeitslosigkeit, Sterben, Leben, Schmerz, Schrei.

16.

Intellektuelle, Priester, Märtyrer

Gut, daß wir in Leipzig im Frühjahr 1990 zum 50.Geburtstag meiner Frau Richard Rohr, einen deutschstämmigen Franziskaner aus Amerika, gehört haben in der Nicolaikirche. Dass ich seine einschlägigen Bücher kannte, die er ja alle nicht geschrieben hat, sondern seelsorgerlich gesprochen hat und ein Freund hat sie aufgeschrieben. Übrigens ein bayerischer Lutheraner. Gut, dass wir Bonhoeffer kannten zwischen Widerstand und Ergebung. Zwischen Revolte und Anpassung mussten wir das für uns übersetzen.

Meiner Frau redete ich zu, als Staatssekretärin für Familie und Jugend nach Berlin zu gehen und die DDR fröhlich mit anderen und Gospelmusik zu beerdigen.

Denn schon die Umzüge in Leipzig hatten nicht nur etwas

Dramatisches, sondern auch etwas Fröhliches.

Der Satz meines Freundes im Glauben Georg Harpain: “JESUS WAR AN DER SPITZE “ ist für uns letztlich Grundton geworden dessen, den ich als ordinierter Pfarrer zu verkündigen habe: JESUS, der die Welt überwindet.

Es gibt Augenblicke im Leben, wo einem das bewusst wird: Sieg.

Dafür sind wir dankbar.

Und dafür: Nach dem Lesen unserer Akten in der Runden Ecke war nur einer dabei, der uns verraten hat aus unserem Vorbereitungskreis für die Themen und Referenten der Altenburger Akademie, ein Berufsschullehrer, den sie erpresst haben, weil er einem Mädchen zu nahe gekommen war.

Sonst alles OKAY.

Ich bin weinend und lachend herum gegangen und habe mich bedankt für die Treue. Wir sind uns um den Hals gefallen.

Trotz und wegen aller Fürbitten nie die Dankesstrophe vergessen, schärfte mir mein Vater in dieser Zeit ein.

Leider hat meine Mutter den 9.Oktober 1989 in Leipzig nicht mehr erleben dürfen. Sie war die Tochter eines Rechtsanwaltes, der unter Lebensgefahr Juden verteidigt hat, Pfingstler u.a., die im 3. Reich denunziert wurden.Ich bin meinen Eltern dankbar, dass sie mir mitten im Sozialismus die Kategorien des Denkens erhalten haben trotz aller Schablonen, die uns in der sozialistischen Schule um die Ohren gehauen worden sind.

Dank?

Natürlich Dank. Auch am 3.Oktober 1990, wo wir alle zu feige waren – oder Schlimmeres(?)- die Kirchenglocken zu läuten. Schließlich war der offizielle Kalte Krieg zu Ende und wir tanzten mit den Offiziersfrauen der Roten Armee. Bevor sie abzogen aus den alten herzoglichen Kasernen in einer ostthüringischen Residenzstadt in ihr armes russisches Land. Wir haben mit den Katholiken eingeführt, dass am 3.

Oktober bzw. zu ERNTE-DANK auf dem Markt vor der Franziskanerkirche-Brüderkirche gebetet, gesungen, Posaune geblasen, gepredigt worden ist.

Wir haben den Hirten zum Krippenspiel Plakate in die Hand gedrückt, auf denen stand: WIR SIND DAS VOLK.

Zur gleichen Zeit, als die Soldaten in der nahen Kaserne nicht wussten, was sie mit ihrem Gewehr anfangen sollten…Und die Richter riefen, sie hätten kein Recht mehr in den Händen, nach dem sie urteilen könnten. Die Gefangenen hingen ihre Bettlaken zum Fenster des Gefängnisses heraus mit Losungen, die sie darauf gemalt haben, für bessere Haftbedingungen. Die Telefonleitungen nach Berlin waren gekappt.

Auch in Leipzig wusste in der Großen Friedlichen Oktoberrevolution niemand, was er machen sollte. Außer das Volk, eine Handvoll mutiger Künstler mit Parteisekretären.

In Berlin stand immer das Westfernsehen bereit und der RIAS, SFB. In Leipzig niemand. Nur das Auge der STASI auf den Dächern. Wir sind dankbar gegenüber Gott, das nichts passiert ist.

FÜRBITTE UND DANK!

Die Altenburger Akademie war weiterhin notwendig, um der Sprachfähigkeit willen in einer auf uns zukommenden Diskursgesellschaft. Um zu lernen, dass es Argumente gibt, die ausgetauscht werden müssen.

Wir haben später im Rahmen der Altenburger Akademie- Offene Kirche f ü r den Religionsunterricht gekämpft innerhalb der Evangelischen Kirche in Thüringen. Und haben gewonnen – im Gegensatz zu später: Berlin.

Fortsetzung folgt.

Michael Wohlfarth, Juli 2025 …

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Veröffentlicht von famwohlfarthtonlinede

Jahrgang 44 Lieblingsbeschäftigung:Schreiben und Predigen.Sehnsuchtsort Ostsee. Wohnort Berlin, Heimat Thüringen. Wenn Du mir schreiben willst, bitte über michael.wohlfarth@t-online.de; https://kaparkona.blog; michael-wohlfarth.jimdo.com; michaelwohlfarth.wordpress.com

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