Sie werden fragen, warum Pößneck.

Ja, Pößneck in Thüringen.

Genauer gesagt in Ostthüringen. Das ist eine Kleinstadt. Mein Großvater hat hier nach dem 1.Weltkrieg Arbeit gefunden:Bürgermeister.

Sie hatten ihm gesagt in Hohensalza – nach dem siegreichen Polenaufstand: Du kannst hier bleiben und die polnische Staatsbürgerschaft annehmen. Das ist die Bedingung. Dann kannst Du Dein Haus behalten, die Villa, die Dir Dein Freund entworfen hat in Friedenszeiten. Du solltes aber gehen, wenn Du das nicht willst.

Wenn Du kein Pole werden willst: GEH! Geh nach Deutschland. Geh nach Thüringen. WOHI – IN. GEH WOHI – IN…?

Ja, er wollte nicht die polnische Staatsbürgerschaft annehmen und verkaufte seine Villa für einen Apfel und ein Ei.

In Thüringen, jedenfalls in Pössneck, war gerade Wahl. Die Sozen suchten einen Bürgermeisterkandidaten. Da es gute Sozialdemokraten waren, fanden sie es nicht schlimm, dass ihr Kandidat Otto von Bismarck über seinem Scheibtisch zu hängen hatte, dass er Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei war und Kontakt zu Journalisten hatte, die dieser Partei nahe standen oder gar selber als Mitglieder geführt wurden. Sozial-Liberale Koalitionen gab es schon immer. Allerdings lebten Mitglieder dieser kleinen Partei gefährlich. Siehe Walter Rathenau, der auch zu dieser Gruppe gehörte.

Der Journalist Theodor Heuss, erster Präsident der Bundesrepublik Deutschland war mit dem promovierten Juristen Friedrich Arter bekannt und in Zürcher Blättern erschienen Gedichte meiner Großmutter Theodora Arter, geborene Dilloo. Friedrich Arters Vorfahren waren Schweizer und Theodor Heuss schrieb in Zürich.

Ein Politiker der DDP trat immerhin Kapp entgegen auf den Stufen des Reichstages, als der ihn übernehmen wollte.“Wo ist ihre Legitimation?“ Kapp hatte keine und ist umgekehrt auf den Stufen des Reichstages.

Alle anderen Parteigänger- und Führer waren längst geflohen. (Quelle: Ernst von Salomon in dem Roman „FRAGEBOGEN“/Rowohlt.)

In der Legislatur meines Großvaters in Pössneck kam wiederum Tessenow, der Baumeister aus dem Bauhaus zu Besuch und zur Geltung.

„Gehen Sie ein Stück ostwärts die Straße entlang. Die Autostraße, die in Richtung Neustadt an der Orla führt. Sie kommen rechter Hand zu einer Siedlung. Zwei Straßen. Parallel zur Hauptstraße“. In einem Cafe unweit des Rathauses.

Gewissermaßen vor der Siedlung steht eine Schautafel: Mein Großvater und seine Frau vor einem Siedlungshaus. Von Tessenow entworfen, mit dem er schon vor dem Krieg – in Friedenszeiten – gebaut hatte: in Hohensalza. Der Bürgermeister ist mit hinein gezogen in den beispielhaften sozialen Wohnungsbau in Thüringen. In den Gries.

Dazu der Text, der Ihnen alles erklärt. Es gibt noch eine dritte Straße auf der anderen Seite der Straße Richtung Neustadt. Auch Bauhaus. Auch Tessenow. Nach zu lesen in den Berichten zum Tessenow- Jahr des Denkmalamtes als nachgeordnete Behörde der Regierungskanzlei in Erfurt. Herausgekommen im Reinhold-Verlag Altenburg. Ja, dort war ich lange Zeit Gemeinde-und Jugendpfarrer und freue mich, dass ausgerechnet diese Geschichte in Altenburg gedruckt wird

Carsten Liesenberg:Die Tessenow-Siedlungen in Pößneck

Hätte ja eigentlich in Pössneck gedruckt werden müssen, dieser alten Drucker-Spiel- und Papierstadt. Die vielen roten Backsteingebäude zeugen davon.

Durch das Tessenow-Jahr hat Pössneck gewonnen und durch eine Gartenbau-Ausstellung danach. So kommt eines zum anderen. Eines baut auf dem anderen auf. Thüringen braucht das. Nicht nur Thüringen – ich weiss.

Die Frau des Bürgermeisters ist nicht in die Kränzchen gegangen der Fabrikbesitzer-Frauen. Sicher übel genommen, wa? Sie war fromm und hat sich gekümmert und g e s e h e n, wie am Morgen die Arbeiterfrauen ihr entgegen kamen mit den Kindern.

Fröbel und sein Kindergarten waren ihr immer gegenwärtig, erzählte meine Tante Josephine. Sie ging in die Bibelstunden der Landeskirchlichen Gemeinschaft. Und sie stritt mit Ihrem Sohn: erst Gott und dann das Vaterland. Auch mit ihrem Mann. Eine streitbare Theologentochter. Ihr Mann ein Liberaler, eigentlich fast Schweizer Güte, wie besagte Tante es ausdrückt in den Biografien der Zeiten, die sie beschreiben hat – für uns.

Unsere Quellen.

Unsere Mutter ist in Pößneck geboren worden. 1920. Mein Großvater ist von den Sozen nicht wieder gewählt worden. Er hat mit Hilfe der Noske-Truppen Arbeiteraufstände und rechte Putschisten zu zügeln versucht. Mit Erfolg und mit den Mitteln, die nach dem 1.Weltkrieg die Weimarer Republik angeboten hat und von den Kräften vor Ort umgesetzt wurden. Es war nicht immer friedlich. „Keine Gewalt!“ war in Leipzig 1989!!!

Die Bewaffnung der Arbeiterklasse nicht nur als Hauptziel Lenins, wie wir es gelernt haben an der Universität in Berlin, wenn wir im roten Konfirmanden – Unterricht sassen, als Pflichtfach für Theaterwisschaft und auch evangelische Theologie.

„Bewaffnung der Arbeiterklasse“. Lenin wusste das. Andere auch.

Und hielten dagegen, um einen Bürgerkrieg zu verhindern. Auch Rathenau. Die Anführer wurden über die Äcker geschleift, erzählt mir ein Feund der Familie Arter in Pössneck, ein Nachkomme von Freunden, als er in Altenburg auf dem Bahnsteig steht und wir auf den Zug warten, nach einem Gemeindetreffen.

Ich weiß nicht, ob mein Großvater das wußte.

Ich hoffe nicht.

Aber das sind Realitäten. Keine Gute-Nacht-Geschichten. Es war harte Zeit.

Die zweite Legislatur gehörte nicht Dr. Arter:“ Er ist doch nicht so wie wir!“ – Die Konservativen haben nicht gereicht, die das erste Mal gegen ihn gestimmt haben.

Es wird gezählt.

Es gibt die Zahl.

Nicht nur das Bild.

So schön es auch ist.

Von daher stimme ich nicht in das Lied der Politikverächter ein. Die ganze Familie hat darunter gelitten. Sie sind wieder zurück gegangen in den Osten, woher sie kamen. Nicht ganz so weit. In die Neumark. Nach Landsberg an der Warthe. Wo in der Nähe die Familie eine Ziegelei besass. Für die roten Backsteine, die bis nach Pössneck reichten. Ja, genau die. Sie gibt es überall. Im Norden. Im Osten und in Thüringen.

Wir haben die Stadt besucht und auf der anderen Seite der Orla eine Fabrikantenvilla gefunden, in der wir kurios übernachtet haben. Und paradox. Nach Thüringer Klössen im Rathaus.

Aber das wäre eine neue Geschichte für diese Stadt und dieses Land.

Machen wir es gut. Besser? – glaube ich nicht.

Aber mit Gottes Hilfe, sonst geht es gar nicht.

Mit freundlichen Adventsgrüßen

Michael, der älteste männliche Enkel.

TSCHÜSS – A DIEU – Weihnachten wird es uns hoffentlich leichter machen. Ein halbes Jahr ist das Ganze nun her. Diese Spaziergänge, Übernachtungen und Gespräche. Nur eines hat uns wirklich entsetzt. In dieser Stadt kein Gottesdienst an diesem denkwürdigen Sonntag d.18.8.24. und auch keine Anzeige an der Kirchentür:WO DENN?

Kapitel II Ein Spaziergang auf der anderen Seite

Kapitel III – vor dem Spaziergang im Regen die Besichtigung „Am Gries“

Bauen nach dem Krieg
Pössneck

Ausruhen Ende August, Anfang September. Es waren der Feiern sicher zu viele und Gäste, die nicht erwartet wurden und solche, die nicht kamen. Aber doch, aber doch. Alles gut?

Es wird alles gut, weil Christus auferstanden ist (Sören Kierkegaard)

Und nun: Seid stille im HERRN, lese ich Monate später.

Gustav Heinemanns Rede auf dem Essener Kirchentag 1950: „Unsere Freiheit wurde durch den Tod des Sohnes Gottes teuer erkauft. Niemand kann uns in neue Fesseln schlagen, denn Gottes Sohn ist auferstanden. Lasst uns der Welt antworten, wenn sie uns furchtsam machen will: Eure Herren gehen, unser Herr aber kommt!“

Einen gesegneten Advent!

Berlin 1. Advent 1.Dezember 2024 Margard und Michael Wohlfarth mit herzlichen Grüßen!

Kommentar einer Pößneckerin

Wunderschöne Bilder. Macht Lust, die Stadt neu zu entdecken. Vielen Dank. Ja, ich bin in Pößneck geboren und war dann dort auch noch mal mit Andreas Schaller im PfarramtLeider kann ich Ihre Nachricht an mich nicht finden. Habe mich sehr über Ihre Nachricht gefreut. Social media ist meine Schwachstelle. Einen gesegneten 2. Advent Ihnen und Ihrer Frau.

danke m.wohlfarth

Veröffentlicht von famwohlfarthtonlinede

Jahrgang 44 Lieblingsbeschäftigung:Schreiben und Predigen.Sehnsuchtsort Ostsee. Wohnort Berlin, Heimat Thüringen. Wenn Du mir schreiben willst, bitte über michael.wohlfarth@t-online.de; https://kaparkona.blog; michael-wohlfarth.jimdo.com; michaelwohlfarth.wordpress.com

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2 Comments

  1. Wunderschöne Bilder. Macht Lust, die Stadt neu zu entdecken. Vielen Dank. Ja, ich bin in Pößneck geboren und war dann dort auch noch mal mit Andreas Schaller im PfarramtLeider kann ich Ihre Nachricht an mich nicht finden. Habe mich sehr über Ihre Nachricht gefreut. Social media ist meine Schwachstelle. Einen gesegneten 2. Advent Ihnen und Ihrer Frau.

    wohlfahrth

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    1. Schaller nicht Scholler: Wir fahren am 20.12. zu einem 80.*Tag nach Altenburg und ich war bei Gabriele Scholler, Gemeindepädagogin in der Kath. Gemeinde. Sie haben das nicht bemerkt. Aber ich und freue mich, dass Sie mir meine Frage nicht übel nehmen, weil ich ja Ihren Bruder kenne durch Sebastian (Rhön). Wir standen sogar schon vor Ihrem Elternhaus vor Jahren.- Zu Ihrer Zeit war noch GD in Pößneck am Sonntag. Wir haben alle runden Geburtstage in Hoheneiche /CVJM gefeiert in der Großfamilie und ich wollte endlich einmal die sanierte Siedlung IM GRIES sehen. Aber vorher in die KIrche gehen, in die sicher meine Großeltern gegangen sind. Herzliche Grüße, der erste Brief gilt genaus so wie der zweite, danke!

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